One-Click Bewerbungen erlauben oder nicht? Was sind die Vor- & Nachteile? Ist alles sinnvoll, was technologisch möglich ist? Diese Fragen werden vom falschen Standpunkt aus gestellt und bringen wenig. Der richtige Ansatz ist: Denken wir mal „Bewerbung“ neu.

One-Click-Bewerbungen – das könnte die Wende sein

Es gibt gerade in der Blogger Community eine Mini-Diskussion über das Ja oder Nein von sogenannten One-Click-Bewerbungen. Die Befürworter loben die einfache Möglichkeit, sich zu bewerben und hoffen damit auf mehr Bewerbungen in einem engen Arbeitsmarkt. Die Skeptiker befürchten eine Flut unpassender, wenig ernst gemeinter Bewerbungen auf die Unternehmen zukommen. Das ist mal eine grobe Zusammenfassung. Ausführlicher gibt es die Diskussion natürlich bei den Original Artikeln. Hier der link zu Ina Ferbers blogartikel „Warum ich glaube, dass eine “One-Click-Bewerbung” sehr wohl zielführend ist…“ mit einigen interessanten Kommentaren und zu dem Anstoßartikel von Cyquest „Warum ich nicht glaube, dass eine “One-Click-Bewerbung” wirklich zielführend ist…

Mich hat das Thema sofort gepackt und noch am Freitagmorgen fing ich im Zug mit diesem Artikel an, wurde natürlich nicht fertig und erfuhr abends, dass auch Robindro Ullah in seinem Suppenreport das Thema „One-Click-Bewerbung“ aufgegriffen hat. Und in die gleiche Richtung denkt wie ich. Sollten wir in der Lage sein, die Recruitingwelt nachhaltig positiv mit unseren Gedanken zu beeinflussen … (träumen muss erlaubt sein). Um es vorweg zu nehmen: Das Instrument „One-Click-Bewerbung“ wird die Welt nicht verändern. Aber es zwingt uns dazu, unser Recruitingverständnis komplett zu überdenken – und das ist dringend nötig.

One-Click-Bewerbungen im richtigen Kontext verstehen

Ich ziehe immer die Analogie der zwischenmenschlichen Beziehungen als Vergleich für den Bewerbungsprozess heran. Das wird in den „Originalbeiträgen“ dieser Diskussion auch gemacht und auch Robindro denkt in diese Richtung. Aber was bedeutet das in der Konsequenz? Um das zu erklären, muss ich jetzt leider kurz etwas langweilig werden (nämlich bekanntes wiederholen), aber sonst kann ich meinen Punkt nicht klar machen. Die Frage ist: Welche möglichen „Bewerbungs“Situationen gibt es denn überhaupt? Und anschließend kommt die erfrischende Auflösung: Wo finden wir diese in der Beziehungswelt wieder?

  1. Ein Mensch sucht konkret und aktiv einen Job. Er recherchiert mögliche Unternehmen und deren Jobangebote, perfektioniert seine Bewerbungsunterlagen und bewirbt sich ganz offiziell. Das ist der Standard seit Jahrzehnten. Wer sich so viel Mühe gibt, erwartet das natürlich auch von den Unternehmen. Also Eingangsbestätigung, zeitnahes Feedback etc.
  2. Ein Mensch sucht nicht konkret, ist aber auch einem Jobwechsel gegenüber nicht abgeneigt. Der klassische „passiv Suchende“. Sieht er ein interessantes Angebot, wird er sich sicherlich hinsetzen, sich konkreter mit dem Job beschäftigen und zumindest mal erste (nicht vollständige) aussagefähige Unterlagen verschicken. Auch er erwartet, dass das Unternehmen ihn als offiziellen Bewerber wahrnimmt und so behandelt.
  3. Ein Mensch, der gar nicht auf Jobsuche ist, sieht zufällig ein Jobangebot, dass ihn sofort anspricht. Sein Interesse ist geweckt, der Handlungsdruck aber sehr gering. Er hat keine Lust, jetzt seinen CV um die letzten drei Berufsjahre zu aktualisieren und seine Zeugnisse rauszusuchen. Er weiß ja auch nicht, wie ernst das Unternehmen wirklich sucht und ob es ihn für den Job in die engere Auswahl nehmen würde. Im Zweifel lässst er also die Bewerbung sein. Aber jetzt haben beide eine Chance, denn er kann er dem Unternehmen einfach mit einer One-Click-Bewerbung Interesse signalisieren. Und das war es. Darf er vom Unternehmen erwarten, dass es sich großartig Arbeit macht? Will er eine automatisierte mail bekommen mit der Aufforderung „Schicken Sie doch bitte Ihre kompletten Unterlagen, damit wir uns ein Bild machen können“? Nein! Die Arbeit hätte er sich ja dann schon gemacht. Darf er erwarten, dass sich das Unternehmen jetzt um ihn bemüht? Nein! Er hat ja noch nicht viel von sich preisgegeben. Das, und nur das, ist das richtige Verständnis für eine One-Klick-Bewerbung.

One-Click-Bewerbungen: Der Fänger des flüchtigen Augenblicks

Um das Ganze jetzt für unsere Anwendung verständlicher zu machen, lassen Sie mich unsere Erfahrungen aus dem echten Leben nehmen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wieder drei mögliche Situationen:

  1. Sie sind Single und suchten dringend einen Partner. Muss ich aufführen, was Sie alles unternehmen werden? Online Partnerbörse, umfangreiche Persönlichkeitstest „wer passt zu mir“, tolle Fotos, Discobesuche etc. etc. Ich kenn mich da zu wenig aus. Auf jeden Fall betreiben Sie richtig Aufwand! Und wollen, dass dieser Aufwand wertgeschätzt wird. Sie sind sozusagen ein Bewerber der 1. Kategorie.
  2. Sie sind Single, damit aber eigentlich im Moment ganz glücklich. Irgendwann ein Partner, ja, das wäre nett. Aber hey, alles ohne Druck. Jetzt erzählt Ihnen ein guter Freund von einer Party morgen Abend, und da werden auch ganz nette und hübsche Vertreter des anderen Geschlechts anwesend sein. Sie gehen hin, oder? Wie werden Sie sich anziehen? Ganz passabel. Wie für eine Party. Aber nicht übertreiben. Sie werden kein neues, umwerfendes Kleid / oder Anzug für viel Geld kaufen. Sie werden nicht vorher Stunden im Bad verbringen um sich „aufzudonnern“. Sie werden sich gut anziehen, die Zähne putzen und einfach mal hingehen. Und Sie hoffen, erwarten, dass die anderen Anwesenden sich genauso viel Mühe gegeben haben und da keine Monster sitzen. Aber mehr nicht. Damit wären Sie ein Bewerber der 2. Kategorie.
  3. Jetzt wird es spannend! Sie sind Single oder in einer Beziehung, das ist egal. Fakt ist, Sie sind eigentlich mit Ihrer Situation zufrieden. Aber dann passiert es: Sie sind in der U-Bahn, beim Karnevalsumzug, in der dicht gedrängten Kneipe. Und plötzlich, nur aus dem Augenwinkel, sehen Sie plötzlich ein hübsches Gesicht, hören ein bezauberndes Lachen, blitzen Ihnen zwei Augen entgegen, kreuzen sich zwei Blicke. Und Sie denken: Wow! Wer ist dieses bezaubernde Wesen? Und eine Sekunde später ist der Blickkontakt gerissen, öffnet sich die Tür der U-Bahn und die Person steigt aus, trennt Sie der Karnevalsumzug. Was machen Sie jetzt?!!! Wenn Sie können, werden Sie dieser Person schnell noch einen Zettel zustecken oder eine SMS schicken „Hey, können wir uns wiedersehen? Ich würde dich gerne näher kennenlernen“. Und wenn Sie das gemacht haben, was dann? Dann liegt die Entscheidung, ob Sie beide sich wiedersehen, bei der anderen Person. Und das ist Ihnen im echten Leben vollkommen klar. Das bezaubernde Wesen aus der U-Bahn weiß nicht, ob Sie ein charmanter Adliger, ein abgebrannter Landstreicher, ein Perverser oder der beste Liebhaber der Welt sind. Dieses Wesen entscheidet jetzt, ob es sich die Mühe machen will, auf Sie einzugehen. Ob es versucht, Informationen über Sie herauszufinden. Oder ob es Ihre Nachricht einfach ignoriert. Es ist seine Entscheidung. Seien Sie nicht böse. Hey, was haben Sie schon riskiert? Wie viel Aufwand hat es Sie gekostet? Eben. Und das ist die richtige Analogie für die One-Click-Bewerbung.

Die One-Click-Bewerbung definiert unser Bewerbungsverständnis neu

Ich schlage daher vor, dass wir uns hier und jetzt ganz schnell von dem Begriff „One Click Bewerbung“ verabschieden. Denn das ist keine Bewerbung, das ist nur ein Signal. Ich brauche hier als Unternehmen keine Eingangsbestätigung zu verschicken. Ich kann mich entscheiden, dieses Signal zu ignorieren. Wenn ich genug „richtige“ Bewerber habe. Wenn ich keine Zeit und Lust habe. Wenn ich nichts in dem Profil finde, das meine Aufmerksamkeit weckt. Ich muss gar nichts machen. Oder ich kann den Ball aufnehmen. Bestätigen Sie jede Kontaktanfrage in Ihren sozialen Netzwerke? Ich nicht.

Das tolle an der One Click-Bewerbung (nein, sorry, dem „One-Click-Signal“) im Arbeitsleben ist ja: In der Regel sind die Online Profile der Menschen recht gut gepflegt. Sie können als Unternehmen mindestens die wesentlichen Punkte sehen, die für eine erste Entscheidung nötig sein sollten. Und dann liegt es an Ihnen. Rufen Sie an! Schicken Sie eine mail mit der Bitte um ein Telefonat. Geben Sie sich Mühe! Wenn Sie das wollen! Aber fangen Sie nicht wieder mit Ihrem Standardprozess an. „Schicken Sie Unterlagen!“ Nein! Wenn der Bewerber das gewollt hätte, hätte er es gemacht. Er hat seine Wahl getroffen. Jetzt sind Sie dran zu reagieren: Überlegt, individuell, mit Einsatz! So wie es doch eigentlich sein soll, wenn uns ein Bewerber wirklich interessiert, oder? Wir können uns dann nicht mehr hinter der Mauer eines festen Prozesses verstecken. Wir müssen aus der Deckung kommen und uns entscheiden, was wir tun wollen. Ignorieren oder Mühe geben! Und darum hoffe ich, dass die One-Click-Bewerbung uns hilft, ein neues Recruitingverständnis zu entwickeln.

Die Idee vom idealen Bewerbungsprozess ist ein Illusion

Wir müssen uns vom Denken einer Bewerbung als Bewerbungs“prozess“ verabschieden. Das Zusammentreffen von Menschen ist kein Prozess! Es ist ein Miteinander, das von beiden Seiten geprägt wird. Das ist etwas, was eigentlich auf der Hand liegt, aber die Unternehmen erst noch lernen müssen. Warum, darüber hatte ich schon mal geschrieben und dabei an Tante Emma erinnert.

Und seien wir doch mal ehrlich: Die Foren sind voll mit Beschwerden von Bewerbern über den unprofessionellen Bewerbungsprozess in den Unternehmen. Dass erst nach Monaten eine Reaktion kommt. Wenn überhaupt. Dass Termine nicht zustande kommen, Interviewer schlecht vorbereitet sind etc.  Hören wir doch auf so zu tun, als hätten wir einen tollen, funktionierenden Bewerbungsprozess. Das ist zwar technisch möglich, aber menschlich funktioniert er eben nicht.

Da finde ich ein One-Click-Signal mit entsprechender Nicht-Reaktion viel ehrlicher. Und ein spontanes Telefonat oder ein persönliche Mail im positiven Fall viel netter. Und Sie wollen als Unternehmen doch nett sein, oder? Oder was sagt Ihr Employer Branding Beauftragte dazu.

Ich freue mich auf die Diskussion – in welchem blog oder Ort auch immer.

Herzlichen Gruß,

Henrik Zaborowski