Storytelling ist in der Menschheitsgeschichte ein alter Hut. In der Recruitingpraxis aber noch lange nicht. Da liegt noch viel Potential. Nur: Die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit sind fließend. Aber Storytelling kann noch mehr – es führt uns vom Recruiting zum Kern von Weihnachten.

Storytelling mit Obsthändler Didi

Es ist schon ein wenig durch die virtuelle Welt gereicht worden, das unglaubliche Imagevideo des Obststand-Betreibers Didi in München. Ein Traum. Aufgemacht wie bei „den Großen“, professionell, emotional, ansprechend – ein toller Imagefilm. Wollen wir uns beim Ansehen nicht am liebsten sofort gemeinsam mit und für dieses Unternehmen (wie schon so manches mal) auf den Weg in eine bessere Welt machen? Unbewusst ahnend, dass in und hinter diesem Unternehmen das Versprechen für so viel Gutes, Positives, Verheißenes liegt. Und ein Unternehmen, dass soooo toll ist und uns emotional abholt, muss das nicht auch ein einfach unglaublich toller Arbeitgeber sein? Voller Liebe, Zuwendung, Fairness, Chancen? Selbstbewusst, authentisch, stark, lebensnah, zukunftsweisend? Ja, das muss er wohl. Das Leben ist so schön, nicht wahr?

Ja wenn, wenn wir nicht sofort sehen würden, dass es sich nicht um ein namhaftes, großes, erfolgreiches, vielleicht sogar technologisch zukunftsweisendes Unternehmen handelt – sondern um einen kleinen, simplen, „old economy“ Obststand. Und sofort gibt es uns einen Stich ins Herz, denn wir wissen an Anhieb, dass hier was nicht stimmen kann. Dass so ein Obststand viel zu trivial, zu „popelig“ für so ein großes Imagevideo ist. Und es dämmert in uns die Frage: Was ist, wenn hinter all den anderen, tollen Imagefilmen von den ach so tollen Unternehmen auch nicht viel mehr steckt als bei Didi? Wäre das möglich? Ja, liebe Leser, das wäre ist.

Storytelling im Recruiting – zwischen Schein und Sein

Nun ist das Imagevideo von Didi kein Recruitingvideo. Aber mein Herz schlägt beruflich bekanntermaßen für das Recruiting (auch wenn ich Recruiting wie wir es in der Gegenwart erleben, nicht mag). Und daher kann ich natürlich nicht aus meiner Haut und beziehe dieses Imagevideo automatisch auf die Recruitingpraxis. Und es gibt auch andere, tolle Ideen, wie Storytelling für das Recruiting eingesetzt werden kann. Ein Beispiel gibt es hier. Die Herausforderung beim Storytelling ist, Schein und Sein auseinander zu halten. Denn auch wenn ich es sympathisch finde, dass ich „meine Magie“ mit ins Unternehmen bringen darf – einen außerirdischen E.T. möchte auch das Management dieser Firma mit Sicherheit nicht haben. Und abgesehen davon, dass Henner Knabenreich die phantasielosen Copy & Paste Phrasen der Employer Branding Botschaften zu Recht in Frage stellt, hatte ich Sie, liebe Leser, ja schon mal gewarnt, dass Sie sich vor Employer Branding Scheinriesen in Acht nehmen müssen. Und Didi bestätigt uns das wieder auf nette Weise. Denn er zeigt, dass hinter einem großen Schein auch nur ein kleines Sein stecken kann. Von daher an dieser Stelle vielen Dank an Didi und die Macher des Videos für diesen Augenöffner.

Wir sollten nicht einfach alles glauben, was die Unternehmen uns versprechen. Das gilt für die Produkte, das wissen wir Verbraucher eigentlich. Kaum ein Produkt ist wirklich so makellos, so unentbehrlich, wie es uns verkauft wird. Ein seriöser Marketing-/Werbeprofi weiß das auch. Aber es ist nicht sein Job, alle (auch die negativen) Facetten auszuleuchten und zu zeigen. Er soll die guten Seiten zeigen. Denn die gibt es ja ohne Frage. Die schlechten Seiten finden wir dann über andere (inoffizielle) Wege, wodurch wir dann z. B. von den miesen Arbeitsbedingungen der Textilindustrie oder High Tech Unternehmen erfahren.Ohne das Thema hier überstrapazieren zu wollen, ist z. B. auch Nespresso für mich das Paradebeispiel, wie scheinheilig unsere Gesellschaft ist – und wie stark ein gutes Marketing wirkt. Ich bin wirklich kein Öko, aber dass Kaffee aus Aluminiumkapseln, die anschließend im Normalmüll landen (wer trennt in seinem Büro den Müll??) ein Umweltwahnsinn und dazu noch völlig unnötig ist – das verstehe sogar ich. Aber statt Nespresso abzustrafen, erheben die Kunden das Unternehmen zur Kultmarke. Können Sie mir das mit dem gesunden Menschenverstand erklären? Aber nun ja. DAS gehört nun wirklich nicht hier her. Sorry.

Kommen wir zurück zum Recruiting / Employer Branding. Wenn wir wissen, dass wir den Produktversprechen der Unternehmen nicht bedingungslos glauben sollten – dann könnte das doch auch für die Employer Branding Botschaften gelten, oder? Könnte! Machen wir uns nichts vor, jedes Wirtschaftsunternehmen ist zahlengetrieben. Und die Macher / Entscheider / Management auch. Das ist fair, wir sind in der Wirtschaft und nicht im Himmel. Was ich von den Mächtigen unserer Wirtschaft halte (und dass wir „Normalen“ nicht unbedingt viel besser sind), können Sie gerne nochmal nachlesen. Und was für Unternehmen und deren Arbeitnehmer gut ist, dass liegt ja immer im Auge des Betrachters. Nehmen wir mal die im Employer Branding beliebten Begriffe „langfristig“ und „nachhaltig“. Das sind Wörter, die jeder anders auslegt. Ich z. B. verstehe darunter, auch mal in etwas zu investieren, was nicht sofort eine Rendite abwirft (z. B. in die Ausbildung von Menschen oder eine neue Technologie). Das tut manchmal weh, denn ich weiß nicht, ob sich das Investment wirklich lohnt. Jemand anderes versteht unter „nachhaltig“, jedes Quartal den maximal möglichen Gewinn zu erwirtschaften. Um mittels hoher Reserven auch in Krisenzeiten langfristig am Markt bestehen zu können. Das sind aber zwei völlig unterschiedliche Denkweisen, wie ich selber erkennen musste. (Und wir sehen es ja auch gerade wieder in der Politik, dass die Meinungen über die Rente mit 63 auch innerparteilich weit auseinander gehen. Und am Ende der kurzfristige Nutzen, die Befriedung des hier und jetzt, vorgezogen wird.)

Aber natürlich ist nicht alles schlecht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir müssen halt nur genauer hinsehen. Und z. B. die Zwerge (die Mitarbeiter) fragen (wer das jetzt nicht versteht, hier beim Employer Branding Scheinriesen noch mal nachlesen). Meine Vision für das Recruiting ist ja eh, dass wir irgendwann alle so vernetzt sind, dass die meisten Jobs rein über Empfehlungen vergeben werden. Und dann sollte ich als Führungskraft jemand sein, der gerne von anderen als solche empfohlen wird. Denn die Spezialisten, die ich als Führungskraft brauche, wollen von echten Menschen (nicht von Employer Branding Phrasen) hören, ob ich als Führungskraft etwas tauge. Sonst machen sie das nächste Projekt lieber für jemanden anderen. DIE können sich die Jobs später aussuchen, nicht vergessen! Wir werden in Zukunft daher nochmal genauer über unser Führungsverständnis nachdenken müssen. Aber auch das nur am Rande.

Storytelling – das Transportmittel einer Kernbotschaft

Widmen wir uns zum Abschluss dem Guten. Denn Didi und sein Imagevideo bringen uns zu dem zurück, was wirklich zählt. Und damit zum eigentlich Sinn des Storytellings. Denn wir können zwar enttäuscht sein, dass Didi nur eine „kleine Bude“ und damit für uns kein potentieller Arbeitgeber ist. Aber er zeigt uns doch, worauf es ankommt. Denn die Werte und Begriffe, die das Video transportiert, sind ja genau die, nach denen wir uns sehnen. Oder? Und genau das soll Storytelling im besten Sinn erreichen: Mich abholen, mir Wissen vermitteln, aber gleichzeitig mich zum eigenen Nachdenken anregen. Implizites Wissen wird erreicht. Ich erkenne nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit meinem „Inneren“, meinen Werten und Gefühlen, dass etwas wahr ist. Wie etwas wirklich ist. Darum gibt es Storytelling schon so lange, wie es die Menschen gibt. Es beginnt bei den Schöpfungsgeschichten, dem Gilgamesch Epos über Märchen und Sagen bis zu den kleinen Geschichten unserer Gegenwart. Es sind Filme wie dieser von Dove über wahre Schönheit oder dem „Rosa Tütü Projekt“, die unser Herz berühren.

Und jetzt ist bald Weihnachten. Und viele (alle?) von uns sehnen uns an den Weihnachtstagen nicht nur nach Geschenken und gutem Essen, sondern vor allem nach Harmonie, Frieden, Liebe. Und es sind die alten Geschichten wie die vom selbstsüchtigen Riesen oder dem Mädchen mit den Schwefelhölzern, die wir zu Weihnachten wieder hören/lesen, weil sie unser Herz berühren. Und weil wir irgendwo in uns spüren, dass in diesen Geschichten eine tiefe Wahrheit, eine Sehnsucht liegt, die kein Nespresso Kaffee, kein schickes Abendkleid und kein iPhone jemals stillen kann.

Und falls Sie sich fragen, woran das liegt, verrate ich es Ihnen gerne: Es geht Ihnen so, weil Weihnachten „die Mutter aller Geschichten“ ist. Denn es kam nicht der unübersehbar rote Weihnachtsmann mit lautem „HoHoHo“, Glöckchenklingeln und Geschenken, die kein Mensch braucht – sondern ganz leise und friedlich kam Gott auf die Welt. Und die Hirten, die garantiert nicht zu den Mächtigen ihrer Zeit gehörten, erfuhren als erste davon. „Heute ist für euch … der lang ersehnte Retter der Welt gekommen. … Gott hat den Frieden auf die Erde gebracht für alle, die bereit sind, seinen Frieden anzunehmen“ (aus Lukas, Kapitel 2). Das ist die Kernbotschaft von Weihnachten. Und Sie dürfen sich gerne fragen, ob Weihnachten einfach nur eine nette Geschichte ist – oder ob diese Geschichte nicht doch auch implizites Wissen transportiert. Wäre es möglich, dass Gott der beste Storyteller des Universums ist? Und uns seine Wahrheiten nicht aufdrängt, sondern leise um unsere Aufmerksamkeit wirbt? Ich habe diese Frage für mich beantwortet. Mir wurde Weihnachten der Immanuel, der „Gott ist mit mir“ geboren. Und wenn Sie diese persönliche Notiz hier fehl am Platz finden, möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Wie kann ich es rechtfertigen, Ihnen alles über das Recruiting zu erzählen, was ich weiß – aber Ihnen die wirklich wichtigen Wahrheiten vorzuenthalten? Dieses Versäumnis möchte ich nicht auf mich nehmen. Ich hoffe auf Ihr Verständnis. Zur Weihnachtszeit dürfen Sie mir diesen Wunsch nicht abschlagen.

Das war mein letzter eigener Blogbeitrag für 2013. Auf gute Beiträge von anderen Autoren werde ich mit Sicherheit hier weiter kurz hinweisen.

Ich bedanke mich bei allen meinen Kunden, (Ex-)Kollegen, Freunden, „Followern“, Lesern und Sparringspartnern auf „Twitter & Co.“ für den gemeinsamen Austausch. 2014 wird es wieder einiges Neues geben. Bei mir persönlich, aber auch im Recruiting. Wobei, vergessen Sie nicht: Recruiting ist immer „nur“ Begegnung mit Menschen. Und da ändern sich höchstens die Formen, aber nie der Kern.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit. Soli Deo Gloria.

Ihr Henrik Zaborowski