HR schlägt zurück! Und bekommt gleich noch mal einen obendrauf! Was da für eine Lawine an emotionalen Reaktionen auf den Artikel „HR schlägt zurück – oder: Wie Bewerber 2.0 die Recruiter in den Wahnsinn treiben“ losbrach, damit hatte ich nicht gerechnet. Dabei war dieser von mir veröffentlichte  Brief einer Recruiterin doch nur der Versuch, auch mal die Erfahrung der anderen Seite, also von HR, dazustellen. Und zu zeigen: Auch der „Bewerber 2.0“ kann sein Gegenüber in den Wahnsinnt treiben. Hier kommt nun ein erstes Zwischenfazit, in dem ich auf die diversen Kommentare und Beiträge aus der HR Blogger Communiy eingehen möchte. Was dann folgt, werden wir sehen – und zusammen weiter erarbeiten (müssen).

HR schlägt zurück – und trifft ins Leere

In den meisten Reaktionen auf den Brief der Recruiterin offenbart sich der Frust und die Enttäuschung der Bewerber von Jahren im Umgang mit HR/Recruitern. Unterfüttert von Häme und Schuldzuweisung. Die Kommentare erzählen zum Teil sehr persönliche „Frust-Erlebnisse“, die auch keiner wegdiskutieren kann. Und es scheinen keine Einzelfälle zu sein, denn auch Berater und Coaches berichten davon. Zum Beispiel verweist Markus Väth in seinem Artikel „Sind Bewerber nur ein sprechendes Stück Fleisch“ auf seine Erfahrung in der Begleitung von Fach- & Führungskräften bei der Jobsuche.  Da kommt HR nicht gut weg. Und Jochen Mai greift auf der Karrierebibel in die Tasten, um klar zu sagen: Liebe Personaler, selber Schuld“, denn jeder bekommt die Geister die er rief. Dieses „wie du mir, so ich dir“ taucht immer wieder in den Reaktionen auf. Von daher trifft dieser Versuch von HR einer Gegendarstellung bei der Zielgruppe ins Leere. Statt Verständnis gibt es Vorwürfe oder gute Tipps, was HR besser machen kann. Helge Weinberg z. B. schreibt darüber, was Recruiter von Hamburger Wohnungsuchenden lernen können. Wobei er streng genommen die Vermieter alias HR meint. Sein Tip: Versucht nicht die Mieter (=Bewerber) zu wählen, die oberflächlich eine „sichere Bank“ sind. Die haben es nicht nötig und springen wieder ab. Sprecht mit den potentiellen Mietern (=Bewerbern), die auf den ersten Blick nicht die 100%ige Treffer sind. Die werden euch, HR/Vermieter, nämlich treu sein und keine Termine platzen lassen etc. Und damit hat er Recht. Also was nun? Ist HR selber Schuld?

HR schlägt zurück – und ist selber angeschlagen

Auch wenn ich alle Häme und Emotionaliät absolut verstehen kann – ich habe mich bei meinen Ausführungen, „warum die perfekte Bewerbung Schwachsinn ist“ ja selber in Rage geschrieben – eines möchte ich hier ganz deutlich sagen: „Auge um Auge“ ist mir schlicht zu billig! So leicht kommt mir hier keiner weg. Denn eines muss doch jedem, der sich ein wenig mit der Materie beschäftigt, klar sein: Der Personaler an sich mag vieles sein (und vielleicht auch gedankenlos oder prozessgetrieben), aber die meisten Menschen, die sich für die Personalrichtung entschieden haben, hatten doch mal vor allem den Menschen dabei im Blick. Es sind doch in erster Linie die „Menschenversteher“-Fachrichtungen wie Soziologie und Psychologie, aus denen die meisten Personaler kommen. Gunter Dueck hat das Personaler-Persönlichkeitsprofil in einem seiner Vorträge mal als die „gute Mutter, die alle ihre Lieben um sich haben will“, charakterisiert. Und diese Menschen sollen auf einmal zu Monstern mutieren? Im Leben nicht, liebe Leser! Es mag schwarze Schafe geben, aber das ist doch genau das Kernproblem von HR: Wer ein „Killer-Gen“, wer machtbesessen ist, wer ganz oben mitspielen will – der geht normalerweise nicht in den Personalbereich. HR hat keine Macht und es gibt kaum HR’ler, die wirklich im Top Management etwas zu sagen haben. Thomas Sattelberger mag eine der wenigen Ausnahmen sein. Aber er ist auch ein spezieller Typ, wie ein Bericht im Magazin „Brand eins“ über „Den getakteten Menschen“ spannend berichtet. Und das, was HR im Recruiting umsetzt, ist das, was vom Management vorgegeben wird. Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass sich ein Fachbereich wirklich von HR belehren lässt, wenn es um die Personalauswahl geht, oder? Zeigen Sie mir fünf positive Beispiele und ich nenne Ihnen 50 negative. Das Management gibt vor – und HR setzt um. Von daher kämpft HR nicht nur an der Recruitingfront, sondern eigentlich gegen alle anderen auch, wie ich es als Gastblogger auf Jobnet.de geschrieben habe.

HR schlägt zurück – und scheitert am System

Wir haben also mehrere Baustellen, liebe Leser. Und die werden wir nicht alle kurzfristig und gleichzeitig beheben können. Soviel ist klar. Nehmen wir HR mal aus der Schusslinie und betrachten kurz die anderen Stellschrauben.

  • Wir haben ein „Macht“-Problem in unserem Wirtschaftssystem
    Viele Kommentare und natürlich auch diverse Artikel im Web weisen darauf hin, dass Mitarbeiter nur noch als Kapital gesehen werden. Der Mensch als Persönlichkeit spielt keine Rolle, allen Employer Branding Botschaften der Arbeitgeber zum Trotz. Gudrun Happich, Executive Coach, hat in ihrem Beitrag „Entmenschlichte Unternehmen“ sehr gut darauf hingewiesen. Das ist pauschal, aber für die meisten Unternehmen zutreffend. Woran das liegt? Naja, in aller Kürze: Schauen Sie sich mal an, welche Persönlichkeiten Karriere machen und ganz nach oben streben. Und wie Menschen sich verändern, wenn sie Macht bekommen. Da rücken soziale Verantwortung und Einzelschicksale in weite Ferne. Stattdessen ist „unsere Arbeitswelt ein Zirkus“ geworden, in dem sich die Mächtigen immer stärker vom Rest (i.d.R. den Mitarbeitern) entfremden. Die Frage, die sich jeder stellen muss ist: Bin ich ein Mächtiger, ein Mensch oder eine Maus? Und was kann ich in meiner Rolle tun? Könnte es sein, dass mancher Bewerber aufgrund seiner Qualifikation auf einmal „der Mächtige“ ist? Der, der gefragt ist und sich die Jobs aussuchen kann? Gehe ich dann so mit den Unternehmen um, wie es mir passt? Oder halte ich mich an meine (hoffentlich) gute Erziehung? Jeder kann selber entscheiden, wie er sich verhält. Die Gefahr, „aus der Rolle“ zu fallen, ist je größer, je mehr Macht ich habe. Und das Recruiter von Unternehmen, die in Bewerbungen ertrinken, einen tollen Namen haben und „most wanted“ sind der Illusion verfallen, sie seien etwas Besonderes und daher nachlässig mit den Bewerbungen umgehen … ganz ehrlich: Stünden wir nicht alle in der Gefahr? Aber um so höher sollte der Anspruch sein, dieser Versuchung nicht zu erliegen.
  • Unsere Recruiting ist als Abwehr konstruiert
    HR kommt aus der Administration. Und hat irgendwann das Recruiting mit übernommen. Weil es zu viel Arbeit wurde. Wenn etwas zu viel wird, werden schnell Mechanismen eingebaut, die die Masse entweder reduzieren oder gleich verhindern. Waren es früher Outlook und Access als „Recruitingsystem“ (naja, gibt es ja immer noch zur Genüge), so kamen später Recruitingsysteme mit Online-Bewerbungsmasken. Beide „Systeme“ scheitern in der Praxis. Das erste am Menschen, der den Überblick verliert. Das zweite an der Technik, die nicht flexibel ist und daran, dass der Mensch sich dahinter verstecken kann. Der Recruiter der „guten alten Zeit“ war und ist schlicht zu weit weg vom Bewerber. Aber so entstehen keine Emotionen. Zu „wem“ soll ich eine Beziehung aufbauen, wenn ich eine Papier- oder pdf-Bewerbung bekomme? Freunden Sie sich mit Papier an? Und im persönlichen Gespräch, wird es da dann nicht besser? Naja, wenn ich das Gespräch zum Aufdecken von Fehlern und Schwächen sehe und nicht zum Entdecken von Stärken und Chancen, dann bleibt der Bewerber so unpersönlich wie bisher. Und umgekehrt baut der Bewerber zum Recruiter eine Beziehung wie zu einem nassen Stein auf. Wo soll da Verbindlichkeit entstehen? Außer natürlich, der Bewerber ist verzweifelt. Dann lässt er sich alles gefallen. Aber den will das Unternehmen ja dann nicht. Ist der Bewerber dagegen zu selbstbewusst, will ihn das Unternehmen auch nicht. Tja, schwierig. Und wenn ich dann noch bedenke, dass der Hiring Manager in den ganzen Prozess noch gar nicht einbezogen war und damit null Verbindung zum Bewerber aufbauen konnte … dann brauche ich mich nicht mehr wundern, sondern kann nur empfehlen, die Betroffenen wieder zu Beteiligten zu machen. Aber ich werde zu lang. Noch ein kurzer Punkt.

 

HR schlägt zurück – ein Zwischenfazit

Dass HR als kompetenter Ansprechpartner für Bewerber in vielen Fällen scheitert, darüber sind wir uns denke ich alle einig. Und ich kann es verstehen, dass manche Bewerber jetzt die Recruiter in den Wahnsinn treiben. Ob wir daraus einen Trend machen sollten? Wir müssen auch festhalten: Jeder Jeck ist anders. Und für manche Menschen gelten manche Regeln halt noch. Und für andere nicht. Der Druck, der auf beiden lastet, ist hoch. Da macht „man“ auch schon mal Sachen, die nicht so gut sind. Ich habe mir eigentlich immer viel Mühe im Umgang mit meinen Bewerbern gegeben. Aber ich gebe zu: Auch ich habe ein paar Leichen im Keller! Wir sind Menschen. Und sollten den Anspruch haben, uns auch so zu verhalten. Ob Ethik, Moral und Anstand dazu gehört, muss jeder für sich selbst beantworten. Ich kenne meine.

Beiden Seiten möchte ich klar sagen: Wer acht Monate hinter einem Bewerber „herrennt“ bzw. mehrere Wochen auf ein Unternehmensfeedback auf seine Bewerbung wartet – dem muss ich in diesem Fall sagen: Selber Schuld! Geben Sie sich doch nicht solchen Illusionen hin! Dann ist auch die Enttäuschung nicht so groß. Das ändert das Ergebnis nicht, spart aber Emotionen. Als Bewerber war mir nach drei Wochen „Funkstille“ klar: Da kommt nix mehr. Das ist die momentane Welt, ob es mir passt oder nicht. Da brauche ich nicht mehr warten. Und als Recruiter habe ich ebenfalls ab einem gewissen Punkt den Bewerber“ abgeschrieben“. Wer mich so lange hinhält, der will einfach nicht. Auch wenn er mir das immer wieder beteuert. Aber darüber könnte ich einen ganzen Artikel schreiben. Mache ich aber nicht. Ich mache hier jetzt Schluß. Aber bleibe weiter an dem Thema dran. Denn es ist erfolgsrelevant, ob wir da einen Dreh zur Veränderung kriegen oder nicht. Machen Sie mit? Wie z. B. mein Blogger Kollege Christoph Athanas! Vielleicht muss es ja gar nicht Ghandi sein, der Frieden zwischen Recruitern und Bewerbern schafft. In Ihnen steckt doch bestimmt auch einer, oder?

Herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski