Vor ein paar Tagen hatte ich gefragt ob uns die Arbeitswelt der Zukunft, die newwork im Jahr 2025, in die Vollbeschäftigung oder ins akademische Prekariat führt. Anlass war ein toller Beitrag im Deutschlandradio Kultur, über top ausgebildete und eben auch top ausgebeutete Vertreter der GenY. Hier können Sie ihn nochmal nachlesen oder nachhören (hören lohnt sich besonders). Die Reaktionen in den Kommentaren meines Artikels waren super, vielen Dank an dieser Stelle an alle, die sich eingebracht haben. Die Diskussion darf gerne weitergehen, nein, sie muss weitergehen. Weswegen ich jetzt schon wieder schreibe? Ich wollte Ihnen diesen „Leserbrief“ einer erfahrenen Personalerin nicht vorenthalten …

newwork? Ein Praxisbericht des Ist-Zustands

Ich habe diesen Leserbrief minimal gekürzt, ein paar Hervorhebungen vorgenommen und auf Wunsch der Autorin anonymisiert. Warum ich ihn veröffentliche? Weil ich es gut finde, „Stimmung zu machen“? Glauben Sie mir, ich beziehe gerne Stellung und bin ein Freund klarer Worte. Und meine Sicht ist natürlich subjektiv und gefärbt von meinen Erfahrungen. Wenn Sie denken, „dann machen halt andere Erfahrungen, Zaborowski“, haben Sie nicht Unrecht. Aber m. E. gibt es mehr Lesestoff, der uns immer nur die Gewinner zeigt und uns vorgaukelt, wie einfach das Arbeitsleben doch ist. Man muss halt nur wollen … (und sich anpassen). Aber, liebe Leser, das stimmt nicht. Und das möchte ich Ihnen zeigen. Eben auch mit solchen Praxisberichten anderer. Und damit denen Mut machen, die denken, sie machen etwas falsch. Meistens ist das nicht der Fall.

Also, viel „Spaß“ beim Lesen.

 

„Guten Morgen Herr Zaborowski,
ich hatte schon seit einigen Tagen das Bedürfnis, Ihnen einfach mal zu schreiben.
Zum einen, weil ich finde, dass Sie mir als ‚Auch-HR’lerin‘ vielfach aus dem Herzen sprechen und zum anderen, weil Sie mir nun wirklich überall quasi ‚vor die Augen und Ohren fallen‘ – damit meine ich, natürlich, die selektive Wahrnehmung, und je mehr man sich mit einem Thema beschäftigt, umso mehr fallen einem dann eben Dinge auf, die man vorher gar nicht gesehen hat. Angefangen hat alles im Oktober mit einem Coaching bei der werten Svenja Hofert in HH, und da fiel in deren Blog und dann zB im Deutschlandradio Feature immer wieder Ihr Name. Dann lese ich, Sie sind auch mit Stephan Grabmeier bekannt, den ich wiederum kenne. Die Welt ist klein, fürwahr …:-)

Darf ich mich kurz vorstellen, damit Sie wissen, wer ich bin?
44 Jahre, seit 18 Jahre HR Erfahrung in unterschiedlichen Branchen und Bereichen (HR BP, PE Specialist, zuletzt Head of HR, usw), also wirklich ein old professional, und nun ab Februar das 2. Mal innerhalb eines Jahres – arbeitslos. Ja, so kann’s gehen! Und wenn mir noch einer kommt mit Fachkräftemangel, fang ich an, einen Mord zu begehen 🙂

Und nein, ich hab nix zu verkaufen, anzubieten, kein big deal, wie man sagt, es geht mir um den Austausch und das Netzwerken und ja, ich glaube, es hilft, wenn wir, die ‚andersdenkenden HR’ler‘ immer mehr werden. Ich will Sie gar nicht langweilen mit meiner eigenen Geschichte, zeigt sie doch nur einen ‚Trend‘, den man am Markt beobachtet und ich bin offenbar voll dabei :-).Der Markt, wie ich es nenne, und da ist es völlig wurscht, ob KMU oder Konzern, schreit nach Talenten, Andersdenkenden, Anpackern, ach, das wissen Sie besser als ich, als Recruitingexperte. Da wird einem schlecht, wenn man, so wie ich, sich täglich durch Stepstone, Monster und so fort Anzeigen wühlt … immer das gleiche geschwülstige Blabla … das, was da steht, wollen die Firmen doch gar nicht!

Nun hole ich doch aus: ich habe 2012 meinen supertollen internationalen HR Job verloren, weil die Firma (ein bekannter Konzern, Anmerk. HZ)  mal eben 2000 Leute in eine Transfergesellschaft abgeschoben hat. Da bin ich fix raus, bin nach Hamburg, hab ne Elternzeitvertretung befristet angenommen und da noch blauäugig gedacht, wird schon, findste schon was Festes. Dann war das Ende nahe und ich hatte – nix. Der Hamburger Personalermarkt ist sehr zäh, da bewegen sich kaum welche weg, wenn sie mal auf ihren Pöstchen sitzen und die ‚dauer-Offerten‘ bei Goodgames und Co – wo man sich fragt, warum sind die seit Monaten unbesetzt – nein, das will ich nicht.

So, also zurück in den Süden, wenn schon arbeitslos, dann daheim, in Bayern. Dort dann, nach aufkommender Panik nach 5 Monaten, einen Job als Werks-Personalleiterin angenommen, wo mir schon im Gespräch klar war, ohje, nee, da passt Du ja gar nicht rein. So, und dann kam es, wie es kommen musste und was Frau Hofert auch die falsche ‚Passung‘ nennt, ein guter Worker im falschen Umfeld, der geht daran kaputt …
So erging es mir.

Nun frage ich mich aber: ich denke in vielem wie die GenY, dabei bin ich doch X – und ich treffe in den wenigen Interviews, zu denen ich überhaupt noch eingeladen werde, auf junge Damen, frisch von der Uni, die sich Recruiter schimpfen, die Mainstream, Konformität und lückenlose Lebensläufe verlangen, die aber keine Ahnung haben, weder vom sich permanent ändernden Business noch vom Leben und dass es heutzutage normal ist, gescheitert zu sein, Lücken zu haben .. usf. Wem erzähle ich das …

Es macht mich wütend, dass unsere Arbeitswelt zunehmend verkommt, jawohl, verkommt. Auf der einen Seite die, die dick und fett, satt und zufrieden auf ihren Pöstchen hocken, das Wesentliche nicht entscheiden, sich hinter klein-klein Themen verstecken und so tun, als geht sie all das, was gerade auf dem Markt passiert, nichts an. Und ja, mag sein, nennen Sie es Midlife-Crises, veränderte Sichtweise, was auch immer, mit zunehmendem Alter wird man vielleicht kritischer, hinterfragt mehr, man hat halt zuviel Sch*** erlebt, gesehen, was man nicht nochmal braucht.

Es wurde soviel geschrieben von Speichelleckern, A*** kriechern, denen, die suggerieren ‚Arbeit ist alles und ohne bist Du nichts‘ – was für arme Schweine (sorry), spätestens beim nächsten Burnout sind das doch die ersten, die plötzlich ne Sinnkrise kriegen .. nee, es ist vertrackt. Svenja Hofert gab mir Tipps, ich weiss nun, was für ein Karrieretyp ich bin, aber was hilft es mir? Ich überlegte auch lange, es als Interims Manager zu probieren, aber mir fehlt der finanzielle Background und ich kann das schlichtweg nicht finanzieren, lange Zeiten auch mal ohne Verdienst zu sein.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns zusammenschliessen, die, die immer mehr werden, siehe oben, die HR’ler, die anders denken und nach wie vor daran glauben, dass Werte und Sinn noch zählen, und nicht hohles Geschwätz, Jugend und der günstige Einkaufspreis, sprich ein Jahresgehalt weiter unter Niveau.

Ich lass es mir nicht nehmen, mich weiterhin ‚ehrlich‘ zu verkaufen, ICH selbst zu bleiben und mich nicht auf dieses ‚Verkaufsgeschwätz‘ in Interviews einzulassen (was ein verlogenes Blabla ..). Das Schlimme ist ja, es wird ja überall nurmehr gelogen, dass sich die Balken biegen, erst in den Anzeigen (wir bieten … ) und dann im Interview (‚was ich alles kann…). Wie soll da vertrauensvolle Zusammenarbeit erfolgen?
So, lange genug gelabert, im Grunde wollte ich Ihnen nur als ‚Praxisbeispiel‘ zeigen, wie es laufen kann .. und wohin unsere Arbeitswelt mit ‚old school‘ Personalern steuern wird …  Ich verfolge mit Freude und Interesse natürlich weiter, was Sie berichten und freue mich über einen Austausch.“

 

Das war der „Leserbrief“ liebe Leser. Haben Sie eine Meinung dazu? Schreibt hier nur jemand, der frustriert ist, weil der Traumjob gerade mal nicht greifbar ist? Oder steckt doch mehr dahinter? Meine Meinung ist nicht schwer zu erraten. Aber  lassen Sie uns diskutieren. Oder schreiben Sie mir Gegenbeispiele. Ich würde mich sehr freuen. Und falls Sie gerade eine erfahrene HR Managerin suchen … ich leite die Jobangebote gerne weiter 🙂

Herzlichen Gruß,
Ihr Henrik Zaborowski

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