Recruiting der Zukunft – Menschen statt Prozesse. Das war der Titel der mir spontan einfiel, als die Organisatoren des Best-Recruiters Award mich für einen Artikel für ihren Bericht der Studie 2014/2015 anfragten. Denn ohne zu wissen, wer genau an der Studie teilnimmt war mir klar: Das werden eher die Großunternehmen sein. Die mit den sauberen Prozessen. Darum wollte ich einen kleinen „Kontra-Punkt“ setzen. Vielleicht ist es ja auch gar nicht nötig, aber das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Meine Erkenntnisse sind übrigens auch für KMUs interessant. Wundert Sie nicht, oder? Also, hier mein Artikel (sorry, wieder etwas lang geworden):

Recruiting der Zukunft – Lernen aus dem Leben

Was soll ich anlässlich einer Studie schreiben, die die besten Recruiter Deutschlands, Österreichs und der Schweiz ermittelt und prämiert? Hier wird von den Beteiligten offensichtlich vieles (alles?) richtig gemacht. „Herzlichen Glückwunsch“, schreibe ich da – und freue mich für alle Bewerber, die bei den prämierten Arbeitgebern im Prozess waren und sind.

Aber lassen Sie mich Ihnen trotzdem ein paar Gedanken mitgeben. Über das Recruiting an sich. Und das Recruiting der Zukunft. Und Ihnen drei Geschichten aus meinen 13 Jahren Recruitingpraxis erlebt habe. Über Menschen, die auf Menschen treffen. Im Recruiting- bzw. Bewerbungsprozess. Da passieren manchmal seltsame Dinge, die in keinem Lehrbuch bzw. keiner Prozessbeschreibung stehen. Die wahrscheinlich noch nicht mal erfasst werden. Weil in solchen Fällen der Bewerbungsprozess ganz schnell beendet wird. Ob zu Recht oder Unrecht … wer soll das beurteilen? Nach den drei Geschichten verrate ich Ihnen, was ich daraus gelernt habe. Und was vielleicht auch für Sie interessant sein könnte.

Erste Geschichte:
Ich suchte als Personalberater einen Assistenten des IT Vorstands für ein mittelständisches IT- & Softwarehaus. Der Stelleninhaber sollte sich zeitnah zum Leiter IT entwickeln. Wir suchten also keinen Anfänger. Unabhängig davon kam fast zu gleicher Zeit über einen guten Bekannten ein Mann auf mich zu, nennen wir ihn Herrn Müller, um sich Rat zu holen. Er war gerade nach langer und erfolgreicher Arbeit als Leiter IT von seinem Chef aus dem Unternehmen gemobbt worden. Er war menschlich tief enttäuscht und sein Selbstvertrauen hatte merklich gelitten. Unglaublicherweise passte Herr Müller nahezu perfekt zu meiner offenen Position des IT Assistenten! Es kam zu einem ersten Gespräch mit dem Vorstand. Alles lief super – bis Herr Müller auf seinen alten Arbeitgeber zu sprechen kam. Sie ahnen es bestimmt. Der ganze Frust kam raus und die beiden Unternehmensvertreter schauten sich und mich nur stumm an. Herr Müller bekam davon nichts mit. Er war zu sehr in seiner eigenen Welt. Die Entscheidung des Vorstands war schnell klar: „Den nehmen wir auf gar keinen Fall. Der macht nur Probleme. Kein Wunder, dass der rausgemobbt wurde.“

Ich ärgerte mich über diese verpasste Chance für alle Beteiligten. Aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Eine Entscheidung für die nächsten Jahre von einem einstündigen Gespräch abhängig machen? Das darf doch nicht wahr sein. Oder ist er wirklich so ein Querulant? Ich hatte ihn im Vorfeld als durchaus umgänglichen Typen kennengelernt. Also fragte ich meinen Bekannten, der ihn schon viele Jahre kennt. Und der bestätigte mich in meiner Vermutung, dass Herr Müller eigentlich ganz anders ist, als er sich im Gespräch präsentiert hat. Loyal, verlässlich, ein Kumpeltyp. Herr Müller war natürlich auch am Boden zerstört, als er mitbekam, wie er sich selber in die Absage geritten hat. Aber er hatte noch einen Trumpf im Ärmel. Er war ja arbeitslos. Also bot er an, vier Wochen auf Probe zu arbeiten. Ich nahm meinen Mut (als damals noch sehr junger Personalberater) zusammen, lehnte mich aus dem Fenster und legte dem Vorstand eindrücklich nah, Herrn Müller noch eine Chance zu geben. Aus der Überzeugung, mit meiner Einschätzung und der meines Freundes richtig zu liegen. Das Ende der Geschichte? Herr Müller bekam ein (bezahltes) Projekt für vier Wochen, in dem er in der Projektarbeit seine fachliche Kompetenz beweisen konnte. Er wurde anschließend eingestellt, war nach einem guten Jahr Bereichsleiter IT und ist inzwischen seit über 10 Jahren im Management des Unternehmens.

Zweite Geschichte:
Ein Kunde von mir suchte einen Marketingmanager. Das Unternehmen war Hersteller eines speziellen Computersystems und auf Expansionskurs. Neben den fachlichen Anforderungen war für den Vertriebsleiter und den Geschäftsführer ganz klar: Der perfekte Kandidat musste definitiv sehr gute Kenntnisse über dieses System haben. Weil es so speziell ist. Und erklärungsbedürftig. Und überhaupt. Ich kannte einen Marketingprofi, nennen wir ihn Herrn Meier, der alle Voraussetzungen erfüllte. Bis auf die Kenntnisse dieses Systems. Er hatte noch nicht mal davon gehört. Aber im Gegensatz zu meinem Kunden waren er und ich der Meinung, dass sich dieses Spezialwissen schnell aneignen lässt. Also erklärte ich ihm eine Stunde lang alles, was ich inzwischen über das System wusste. Und er selber verbrachte eine halbe Nacht im Internet und las alles, was er darüber finden konnte. Am nächsten Tag absolvierte er das Gespräch mit dem Vertriebsleiter und später ein zweites mit dem Geschäftsführer mit Bravour. Keinem fiel auf, dass er vorher noch nie etwas über das System gehörte hatte. Er bekam den Job, begleitete erfolgreich das weitere Unternehmenswachstum und entwickelte sich in den folgenden 10 Jahren zum Director Marketing.

Dritte Geschichte:
Die Personalerin eines Kunden von mir lehnte am Anfang unserer Zusammenarbeit immer mal wieder eigentlich passende Bewerber ab, weil diese ihr im Interview nicht deutlich genug klar machen konnten, warum sie ausgerechnet bei diesem Unternehmen arbeiten wollen. Sie stellte immer die Frage „warum wollen Sie bei uns arbeiten“ und hatte eine klare Erwartungshaltung, wie die Antworten lauten sollten. Ich persönlich fand diese Frage schon immer ziemlich dämlich und habe sie selber auch noch nie in meinem Recruiterleben gestellt. Denn in der Regel kommunizieren die Unternehmen nicht, warum man bei ihnen arbeiten sollte! Außer dem üblichen Einheitsbrei „Mitarbeiter wichtigste Ressource“, „International“, „führender Player der Branche“ etc. Die eigentlichen Gründe für den Job finde ich frühestens im Bewerbungsprozess heraus. Und auch nur, wenn ich konkrete Fragen stellen darf und ehrliche Antworten bekomme. Und auch dann muss ich das gehörte erst mal sacken lassen.

Davon abgesehen bestand die Herausforderung für die Bewerber bei diesem Kunden noch in einem ganz anderen Problem: Das, was dieses Unternehmen eigentlich auszeichnete (und weswegen es für manche Bewerber extrem interessant war), wurde bewusst nicht öffentlich kommuniziert. Weil es angeblich nicht zum Bild eines Unternehmens der Branche passte. Seltsam, oder?

Was tat ich also? Ich erzählte den Bewerbern im Vorfeld genau von diesen besonderen Eigenschaften des Unternehmens und fragte dann, ob das für sie eher positive oder negative Eigenschaften sind. Im positiven Fall kam es nicht nur zum Gespräch beim Unternehmen, sondern die Bewerber gaben auch ganz automatisch die „erwünschten“ Antworten, warum sie gerne dort arbeiten würden. Meine Einstellungsquote stieg, die Personalerin war glücklich – und die Mitarbeiter sind auch nach Jahren noch im Unternehmen. Weil sich erfüllte, was sie erwartet hatten.

 

Lessons learned: Im Recruiting geht es um Menschen (und ihre Netzwerke)

Nutzen Sie persönliche Netzwerke

Wie viele Bewerber, die wir durch unsere (mit Sicherheit) super Prozesse schleusen, fallen aus rein menschlichen Gründen zu Unrecht durchs Auswahlsieb? Ich glaube: Sehr viele! Was heißt „aus menschlichen Gründen“? Die können auf beiden Seiten, beim Arbeitgebervertreter und Bewerber, liegen. Jeder hat mal einen schlechten Tag (oder Moment), die Nase passt nicht, all die bekannten Gründe. Ich persönlich halte eine, über alle Prozessphasen hinweg, fundierte Personalauswahl für eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Die Unternehmen haben es sich in der Vergangenheit sehr einfach gemacht. Vorselektion über Noten, Eselsohren, aus dem Anschreiben entnommene Interpretationen, womöglich noch durch die Praktikanten. Alles nicht sehr valide, sorry. Selbst wenn in den persönlichen Gesprächen geschulte Eignungsdiagnostiker sitzen … sitzen da denn überhaupt die richtigen Bewerber? Oder wurden die schon vorher aussortiert?

Dieser elementare Aspekt der „falschen Auswahl“ ist nicht schlimm, solange Arbeitgeber genug Auswahl haben. Aber was ist, wenn diese Auswahl mal dünner wird? Stichwort Demographischer Wandel. Darf ich Ihnen einen Tipp geben? Der Ihnen auch nicht nur die Auswahl, sondern den gesamten Recruitingprozess erleichtert? Gehen Sie über persönliche Empfehlungen und Netzwerke. Besser geht es nicht, darüber sind sich alle Beteiligten einig. Ich weiß nicht, ob ich mich für den Bewerber in der ersten Geschichte so eingesetzt hätte, wenn er nicht von einem guten Bekannten empfohlen worden wäre. Wahrscheinlich nicht. Aber was zählt mehr: Die Aussage eines verlässlichen Menschen, der den Bewerber schon 10 Jahre kennt? Oder der persönliche Eindruck, den ein Bewerber an einem Tag X für 60-90 Minuten macht? Sie kennen die Antwort.

Wenn Sie mir jetzt erzählen wollen, dass Ihre Netzwerke „endlich“ sind, dann lassen Sie mich sagen: Fangen Sie an, das zu ändern. Denn die Menschen vernetzen sich immer mehr. Das Recruiting der Zukunft wird über Netzwerke laufen. Persönliche, verlässliche. Lesen Sie Janszky, wenn Sie mir nicht glauben wollen. Fördern Sie den Austausch Ihrer Mitarbeiter. Schicken Sie sie auf Konferenzen, BarCamps, Events. Und gehen Sie selber auch dahin. Vernetzen Sie sich mit jedem Bewerber, den Sie kennengelernt haben, gut fanden, aber für den es in dem Moment nicht gepasst hat. In drei Jahren passt er vielleicht für eine andere Stelle. Und in fünf Jahren wird Ihr Netzwerk (und das Ihrer Mitarbeiter) gar nicht mehr so „endlich“ sein.

Vergessen Sie Wissen! Achten Sie auf Neugier und Interessen
Ich muss Ihnen nicht den low brainer erklären, dass unser Wissen immer schneller veraltet, oder? Nee, muss ich nicht. Vergessen Sie Wissen! Zumindest als Auswahlkriterium. Nicht in der Personalentwicklung!!! Bloss da nicht!! Sehen Sie zu, dass sich Ihre Mitarbeiter auf dem aktuellsten Stand der Branche, Technologie etc. halten. Wie? Na, schicken Sie sie auf Konferenzen, BarCamps … äh, schrieb ich das nicht schon? Ah, ja. Super, oder? Ihre Mitarbeiter bilden sich weiter UND knüpfen Kontakt zu potentiellen zukünftigen Kollegen. Wie genial ist das denn?! Aber ich schweife ab: Vergessen Sie Wissen im Auswahlprozess! Achten Sie auf Neugier, Lernwillen, ein grundsätzliches Interesse an der Branche/Technologie. Bewerber, die die richtige Einstellung haben, werden eh „auf dem Laufenden bleiben“. Und wenn sie wirklich ein Spezialgebiet noch nicht kennen, dann lernen sie es schnell. Wer dagegen die letzten 10 Jahre technologisch stehen geblieben ist, hatte a) einen schlechten Arbeitgeber und b) kein Interesse, sich weiterzuentwickeln. Selbst das wäre für mich aber noch kein K.O. Kriterium. Viele Menschen haben noch nicht verstanden, dass Karriere in Zukunft anders geht als in der Vergangenheit. Aber in ihnen schlummert genug Potential, um wieder fit für die Zukunft zu werden. Wenn ihr alter Arbeitgeber sich nicht darum gekümmert hat – na, dann kümmern Sie sich jetzt! Wenn Sie immer nur die „Fertigen“ suchen, dann werden Sie ein echtes Problem bekommen. Die werden nämlich immer weniger und gefragter. Also, nicht vergessen: Vergessen Sie Wissen als Auswahlkriterium!

Werden Sie authentisch
Warum sollte jemand bei Ihnen arbeiten wollen? Glauben Sie mir, die Gründe können so vielfältig sein wie es Menschen in Ihrem Unternehmen gibt. Der eine sucht einfach nur nen Job, der seine Brötchen bezahlt. Die nächste die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der nächste sucht Sinn, die andere internationale Karrieremöglichkeiten und wieder eine möchte mit den neuesten Technologien arbeiten. Meine Güte, die Welt ist bunt und das Leben hat mehr zu bieten als Arbeit. Also machen Sie sich nicht verrückt, aber mal ein paar Gedanken. Was haben Sie wirklich als Arbeitgeber zu bieten? Unternehmensübergreifend! Nachhaltige Produkte? Finanzielle Sicherheit? Eine fluide Unternehmensorganisation ohne Hierarchien? Betriebskindergarten? Reisen 1. Klasse? BAV? Jobticket? Den besten Kaffee der Welt? Parkplätze? Völlig egal, was SIE oder die Geschäftsführung wichtig finden: Fragen Sie die Mitarbeiter, was die wichtig finden. Sammeln und kommunizieren sie das. Und idealerweise kommunizieren Sie auch gleich, was es definitiv bei Ihnen nicht gibt. Vielleicht befördern Sie Ihre Mitarbeiter nach Betriebszugehörigkeit und Lebensalter? Dann sagen Sie das – und schreiben nicht „schnelle, individuelle Karrieremöglichkeiten“.

Die Kunst kommt aber bekanntlich nach der Kür: Jetzt beschreiben Sie mal die einzelnen Abteilungen! Ha, jetzt habe ich Sie, oder? Jetzt wird es spannend. Welche Menschen arbeiten da, was können die fachlich? Wie führt die Führungskraft? Wie ist die Performance (oder ist die gar nicht wichtig)? Wie ist die Teamkultur? Wie sehen die Räume aus? Wie ist die Ausstattung? DAS interessiert die Bewerber wirklich. Und hier entscheidet sich nicht nur, ob Sie den Bewerber für sich gewinnen – sondern ob er sich nachher auch im Unternehmen wohlfühlt. Ich gebe zu, das ist nicht ganz trivial. Aber das wird die Zukunft. Ich arbeite gerade mit dem Unternehmen feelgood@work daran, Arbeitgebern genau diesen authentischen Blick in ihr Unternehmen einfach zu ermöglichen. Sehr spannend!

Fazit?
Ist es nicht komisch? Da schreibe ich so vor mich hin, voller Herzblut für die Zukunft des Recruitings und mit Erfahrungen der letzten 13 Jahre als Recruitingexperte – und wie von selbst fügen sich die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammen. Ist Ihnen das auch aufgefallen?

Also, wie war das jetzt:
Weil Sie als Arbeitgeber dafür sorgen, dass Ihre Mitarbeiter durch Konferenzen und Seminare auf dem neusten Wissensstand bleiben, machen diese nicht nur auch zukünftig einen guten Job, sondern knüpfen auch automatisch Netzwerke zu ebenso kompetenten oder interessierten Menschen. Diese Netzwerke helfen Ihnen dann später im Recruiting. Und weil Sie gleich die richtige Zielgruppe erreichen und über Empfehlungen gehen, ersparen Sie sich auch viele Fehler in der Vorauswahl.  Zu guter Letzt fühlen sich Ihre Mitarbeiter im Unternehmen sehr wohl, weil Sie mit Ihrer authentischen Kommunikation gleich die richtigen Menschen angesprochen und begeistert haben und die Erwartungshaltung klar ist. Niemand wird zu schnell enttäuscht. Und weil Mitarbeiter so eine authentische Kommunikation sehr schätzen, empfehlen sie Sie als Arbeitgeber auch gerne weiter.

Das Recruiting der Zukunft wird von Menschen geprägt, nicht von Prozessen. Auch wenn saubere Prozesse zwingend notwendigt sind. Am Ende ist es aber immer der Mensch, der richtig oder „falsch“ handelt. Also, fangen Sie an. Denken Sie nicht als Arbeitgeber – denken und handeln Sie als Mensch.

Und wenn Sie nicht nur von mir, sondern auch von anderen Mitdenkern Anregungen dazu brauchen, dann achten Sie doch auf die Artikel zur Blogger Challenge „2015 – Das Jahr der Kandidaten“.

Ich wünsche Ihnen von Herzen allen Erfolg.

Ihr Henrik Zaborowski