Die Artikel zur Personalauswahl hier auf meinem blog verzeichnen in der Regel die meisten Aufrufe und werden durchaus kontrovers diskutiert. Das Thema scheint also relevant zu sein. Dass es allerdings auch mit gereimten und eher „philosophisch / gesellschaftskritischen Tönen“ über das Recruiting und unsere Arbeitswelt möglich ist, Gehör und Zustimmung in der HR Welt und Gesellschaft zu finden, hat mich dann doch überrascht. Das Feedback zu meinem Beitrag beim Recruiterslam 2015 war überwältigend. Jetzt gibt es die Aufzeichnung endlich online zu sehen. Oder den Text hier zu lesen.

Personalauswahl als Spiegel unserer Gesellschaft beim Recruiterslam 2015

Unsere Personalauswahl ist zu einer Show verkommen, genauso wie unsere Bewerbungsverfahren. Aber unser „System“ ist einfach zu etabliert und eigentlich scheinen sich alle damit arrangiert zu haben. Was mich ganz besonders irritiert: „Social Recruiting“ heißt das neue Buzzword, hinter dem sich aber vor allem „Social Media Recruiting“ verbirgt. Dabei ist unser Recruiting alles andere als „sozial“. Im Gegenteil, es ist zutiefst unsozial. Wie schafft es diese inhaltlich abstruse Wortschöpfung, salonfähig zu werden? Faszinierend! Aber das ist ein Thema für einen eigenen Artikel.

Tatsache ist: Unsere Personalauswahl ist auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Und wenn ich in diesen Spiegel schaue, kann ich nur in Anlehnung an Goethe’s Faust sagen: „Personalauswahl, mir graut’s vor dir“. Was ich da sehe und warum dieses Verhalten in der Zukunft nicht mehr funktionieren kann, habe ich in meinem Beitrag zum Recruiterslam 2015 versucht, deutlich zu machen. Dass Luther und Schiller mal in einer Zustandsbeschreibung des Recruitings vorkommen, hätten sie wohl nie gedacht. Und dass ich mit diesem Inhalt sogar gewinnen würde, habe ich nicht zu hoffen gewagt. Zumal „Slamkonkurrent“ Robindro Ullah einen genialen Blick auf das Recruiting der Zukunft (im Jahr 2042) warf und Siri seine Arbeitgebervorauswahl übernehmen ließ. Das war einfach nur Spitze. Bei Karriereradio.FM gibt es übrigens Livemitschnitte zu hören (und Bilder zu sehen). Und einen besonders schönen Artikel zum Recruiterslam gibt es von Romy auf dem Studierendenblog der Uni Stuttgart.

Dank der Organisatoren Michael Witt und Tobias Meinhold und dem Technikteam rund um Gerold Nullmeier und Uli Stöckle wurden alle sieben Beiträge live aufgezeichnet, toll geschnittenen und uns Teilnehmern als DVD zur Verfügung gestellt. Meinen „Siegerbeitrag“ gibt es jetzt hier zu sehen – und natürlich direkt auf meinem youtube Kanal. Die anderen Slamer werden hoffentlich noch nachziehen. Und wer diese knapp 10 Minuten nicht erübrigen kann (oder keinen Zugriff auf youtube hat :-)), der kann den Text auch gerne gleich unten selber nachlesen.

Viel Spaß und beste Grüße,

Ihr Recruiterslam Champion 2015 🙂 Henrik Zaborowski

Henrik Zaborowski Recruiterslam Champion 2015

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Recruiterslam 2015 / Beitrag Henrik Zaborowski

Moin moin, Henrik ist mein Name.
Und Hzaborowski ist euch vielleicht bekannt.
Und auch wenn ihr denkt, ich nehm euch auf die Arme –
der Luther des Recruitings wurde ich auch schon mal genannt.

Ich habe euch was mitgebracht –
Nein, nicht 95 Thesen.
Darüber hat ich nachgedacht,
aber das wär wohl etwas viel gewesen.

Nein, es sind nur bei paar Gedanken
über das Recruiting, die Menschen und Prozesse.
Denn ich habe die Hoffnung, ich bringe sie zum Wanken,
die lächerlich debilen Recruitingexzesse.

Was ist bloß los in unserem deutschen Schuppen?
Wir waren mal das Land der Denker und der Dichter!,
Heute gesucht? Nur noch Mainstream-Puppen!
Typ Bobby Ewing, nur noch etwas schlichter.

Verlässlich, produktiv und loyal,
so sieht der ideale Mitarbeiter aus.
Was der sonst noch alles kann? Egal!
Selbstbewusstsein, eigenes Denken sind der Führungskraft ein Graus.

Das hat ne Doktorarbeit gerade rausgebracht.
Auch noch gewünscht: Begeisterung und Fleiß!
Das hab nicht ich mir ausgedacht.
Und doch, ich kann bestätigen den Scheiß.

Ok, wenn alles läuft in geregelten Bahnen,
das Wachstum ist stetig, die Entwicklung wie geplant.
Geschäftsprognosen erfüllen sich auch nach Jahren
und alles kommt, wie vom Management geahnt,

dann, ja dann, dann reicht den Arbeitgebern,
solide Pflichterfüllung, mit Fleiß zwar, doch im Zweifel ohne Hirn.
Der Mensch ist Mit-Arbeiter oder Arbeit-Nehmer,
„Totale Hingabe“ steht auf seiner Stirn.

Zur Belohung winkt ihm die Karriere aus der Ferne.
„Das wollten Sie doch immer schon erreichen,
Zaborowski! Führungskraft, das wird doch jeder gerne.
Dann können Sie endlich auch ihr Auto mit dem von anderen vergleichen.“

Und so geblendet, jagen wir durchs Leben.
Naja, was man so Leben nennt.
Da wird leider viel zu vieles aufgegeben.
Vom Leben träumt man, wenn man pennt.

Aber „Hey, wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Nach Brötchen schreien Frau und Kinder.
Und mach ich hier nen schlechtes Ding.
Ersetzt mich bald ein Inder.“

Genau. Der Mensch als lebende Ressource.
Human Capital, FTE.
Natürlich unheimlich wichtig – so ein Quatsch mit Soße.
Jeder ist ersetzbar, Scheiden tut nicht weh.

Wir haben die Arbeit zu unserem Gott erklärt,
der uns als Sklaven hält, um sich zu vergnügen.
Leistung gibt dem Menschen seinen Wert?
Mir scheint, dieser Gott ist ein Meister im Betrügen.

Bei unsrer Geburt haben wir nichts in diese Welt gebracht
und sterben wir, nehmen wir nichts mit raus.
Und doch, wenn die Sonne über unserem Leben lacht,
wir erfolgreich sind, womöglich mit Applaus …

dann glauben wir, dass Könige wir sind
und all das haben wir verdient.
Doch es ist so: „Erfolg macht blind“,
und unser Blick auf andere ist mit Arroganz vermint.

Wir sind die Guten, die Starken, wir die Könner.
Wer nicht erfolgreich ist wie wir, wird weggeschickt.
Doch nicht jeder hatte immer einen Gönner.
Im Gegenteil, das Leben hat so manchen schon gefickt.

Kündigung? Gescheitert? Arbeitslos?
„Na, das ist doch seine eigene Schuld!“
Nein, so ist die Vielfalt des Lebens eben: Groß!
Und mancher wartet lange auf des Glückes Huld.

Wir schlagen stolz auf unsre Brust, um für uns zu werben.
Doch der weise Martin Luther sah die Dinge klar
und schrieb in der Nacht vor seinem Sterben
einen letzten Satz: „Wir sind Bettler, das ist wahr!“

Falls Ihr anfangt Euch zu fragen:
„Wann fängt der Freak denn an?
Übers Recruiting soll der uns was sagen.
Ha! Zaborowski! Kennst Du nicht das Programm?“

Oh doch, ich bin genau im Plan.
Vielleicht findet ihr das dumm.
Doch wenn’s im Recruiting um Menschen geht, dann schaut euch an.
Und jetzt schaut euch mal um.

Was meint Ihr, ganz ehrlich, sind wir alle Superhelden?
Den Schrank gefüllt mit glänzenden Pokalen?
Wir tun zwar so, doch wenn wir allein sind melden
sich Risse an, in unseren hochpolierten Schalen.

Aber im Recruiting müssen Bewerber „fertig“ sein.
Wir wollen Mr./Mrs. Perfect.
Das gern gesehene Wollmilchschwein,
in dem sich auch ein Goldesel versteckt.

Wir nehmen nur die Schlausten und die Besten,
denn unsere Jobs sind megageilomat.
Ach so, und wie wir diese Passung testen?
Na, wir schleusen den CV durch den Automat.

Und das stört mich am Recruiting echt am meisten:
Die Personalauswahl anhand gelackter Fakten.
Verbunden mit der Frage: Was kann der Bewerber leisten?
Und all das lesen wir aus Akten.

Im Lebenslauf fehlt ein Schlüsselwort?
In der Branche noch nichts gemacht?
Zu oft gewechselt, studiert am falschen Ort!
Und auf dem Foto wurde viel zu viel gelacht!

Klar, man sieht ja gleich auf zwei, drei Seiten,
was der Bewerber alles kann.
Und wenn das nicht reicht, zum Horizont weiten
hängt ja noch das Anschreiben dran.

Ach, Freunde, ist das wirklich ernst gemeint?
Wir brauchen angeblich Persönlichkeiten
Und sortieren aus, darüber hab ich oft geweint,
anhand solch unfassbarer Nichtigkeiten?

Doch eins steht fest, es wird sich was verändern.
Disruptive Innovation, schon mal davon gehört?
Die alte Welt gehört den alten Blendern.
Die ihre völlige Ahnungslosigkeit nicht stört.

Harte Zeiten stehen uns bevor,
wenig wird bleiben, wie es war.
Die Digitalisierung dröhnt an unserem Ohr
Und sein wir ehrlich: Niemand sieht die Zukunft klar.

Wenn kommt, was niemand planen kann
weil keiner mehr das „global village“ überblickt.
Dann kommt es auf die Basis an,
die am Puls der Zeit dran ist und vor ihr nicht erschrickt.

Deshalb, was wir in Zukunft brauchen
sind echte Menschen – und zwar im Ganzen.
Wenn bei Problemen bisher nur die Führungsköpfe rauchen
Kann vielleicht das ganze Team die Lösung tanzen?

Es wird Zeit, das volle Potential zu aktivieren.
Menschen einzusetzen nach ihren Stärken, Motiven und Interessen.
Was glaubt ihr, wie kann das passieren?
In dem wir unsere bisherigen Standards schnell vergessen.

Der Mensch ist mehr, als was er tut
und wie er tickt, ist schlecht im Lebenslauf zu sehen.
Und ja, es erfordert Zeit und Mut
genauer auf den Menschen einzugehen.

Doch wer vermag am besten
Menschen und ihre Talente einzuschätzen?
Vieles kann man inzwischen online testen
und ich empfehle, sich miteinander zu vernetzen.

Und ehrlich zu sein, zeig mir, wer du bist.
Ich bin sicher, auch ohne Show bist Du ganz wunderbar.
Und was du bei dir an Fähigkeit vermisst,
ist bei dem anderen im reichen Maße da.

Und umgekehrt – weißt Du, dass wir einander brauchen?
Wir sind für Gemeinschaft geschaffen!
Doch um in Erfolg und Macht abzutauchen,
werden wir Egomanen – und machen uns zum Affen.

Schaut Euch um. Was seht ihr? Alles nette Leute?!
Jeder von Euch ein Unikat.
Mit Interessen, Fähigkeiten, Können – und heute
ist Netzwerken nicht nur Wort, sondern wird Tat.

Darum, damit ihr’s spürt und euch überwindet,
schaut euch in die Augen und fasst euch an die Hände.
Ich möchte, dass ihr euch verbindet.
Lasst mich eine Kette sehen, von Anfang bis ans Ende.

Los, die Arme in die Höhe, hebt die Hände hoch!
Spürt ihr, wie es pulsiert das Blut, das warme?
Social Recruiting funktioniert nicht? Eben doch!
Mit Euch! Und jetzt senkt wieder eure Arme!

Vielleicht klingt es seltsam aber macht euch bewusst:
Wir müssen neue Wahrheiten tanken.
Ein lebendiges Herz schlägt in unserer Brust,
darum ergreift frei nach Schiller meinen letzten Gedanken:

Der Mensch ist genial geschaffen – und frei!
Wird nicht als Human Capital geboren.
Lasst euch nicht irren des mainstreams Geschrei.
Folgt nicht den controlling-geilen Toren.
Der Manager, wenn sein Standard zerbricht,
der freie Mensch erzittert nicht.