Active Sourcing ist angekommen … in den meisten deutschen HR Köpfen. Operativ aber in vielen HR Abteilungen (noch) nicht. Das hat Gründe. Denn eine professionelle Recruting / Active Sourcing Abteilung aufzubauen ist nichts, was „man mal so eben“ macht. Dafür muss sich einiges in den Unternehmen und bei den handelnden Personen bewegen. Vielleicht machen auch deswegen viele Unternehmen erst einmal einen „Zwischenschritt“ und versuchen, ihr Recruiting allgemein auf neue Beine zu stellen. Ist das pragmatisch richtig? Oder vielleicht eher kontraproduktiv? Mal sehen. Ein paar Gedanken inklusive Praxis-Best-Practice von dem Automobilzulieferer BFFT. Und hoffentlich ein intensiver Austausch anschließend mit Ihnen.

Active Sourcing – es geht los!

Bei mir häufen sich die Anfragen und Praxisbeispiele von Unternehmen, die ihr Recruiting massiv umbauen. In der Regel global agierende Mittelständler und Großunternehmen, die jetzt die Unterstützung vom Top Management haben, um wirklich etwas zu verändern, aktiver zu recruitieren und sich von „post & pray“ und Personalberatern verabschieden wollen. Die einen wollen das Recruiting zentralisieren, die anderen einen globalen Recruitingprozess auf- und umsetzen, die nächsten haben zumindest erkannt, dass sie sich bewegen müssen und wollen zumindest irgendwie mal Active Sourcing einführen. Wie immer ist die Welt und das Leben bunt und viele Wege führen nach Rom. Aus meiner Sicht gibt es nicht das „eine, einzig wahre und für alle gültige Recruitingmodell“. Trotzdem kann es helfen, sich ein wenig an anderen zu orientieren. Dazu liefert dieser Artikel und die hoffentlich anschließende Diskussion vielleicht eine kleine Hilfe. Denn ein absolutes Best-Practice Beispiel für den Umbau des Recruitings und den Aufbau einer Sourcing Abteilung liefert der Automobilzulieferer BFFT. Und zwei der handelnden Personen, Tobias Ortner und Jan Hawliczek von BFFT (finden Sie hier als „die grüne 3„), habe ich im Rahmen der Social Recruiting Days 2015 kurz interviewen können. Zusammen mit einem kleinen Mitschnitt ihres Vortrags am Ende gibt es das Video auf meinem youtube Kanal. Bevor oder während Sie weiterlesen, sollten sich sich hier die Präsentation zu ihrem Vortrag aufrufen. Darauf gehe ich jetzt nämlich ein wenig ein.

Active Sourcing & Recruiting ist nicht HR

Wenn Sie sich das Organigram von BFFT (Folie 5) anschauen stellen Sie fest: Das Recruiting und Personalmarketing sitzt unter dem CEO! Der „Rest von HR“ sitzt unter dem CFO!

Das macht die Realität sehr deutlich, dass zwischem aktiven Recruiting und allgemeinen HR Aufgaben Welten liegen. Genauso spannend ist Folie 6, der Aufbau der Recruitingabteilung.

Wie Sie sehen können, gibt es die Position des Sourcers. Die Sourcer machen tatsächlich nichts anderes, als den ganz Tag nach ihren Bewerberzielgruppen zu sourcen, sich mit ihnen zu verbinden, in Kontakt zu bleiben sowie die bestehenden Active Sourcing Kanäle immer besser kennenzulernen und neue zu entdecken.

Praktisch läuft ein Recruitingprozess wie folgt ab: Der Fachbereich bespricht mit dem Recruiter den Bedarf, der Recruiter klärt mit dem Sourcer das Anforderungsprofil und die Sourcingstrategie etc., der Sourcer identifiziert und spricht potentielle Kandidaten an. Zeigt ein Kontakt Interesse oder bewirbt sich, entscheiden Recruiter und Sourcer über eine Einladung und führen auch das 1. Gespräch! Im zweiten Gespräch kommt der Fachbereich hinzu, aber selbst das ist nicht immer der Fall. Denn die Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten fallen Sourcer und Recruiter, nicht der Fachbereich! Auch interessant: Die Entscheidung fällt eher aufgrund der persönlichen Passung des Bewerbers, weniger aufgrund der fachlichen Fähigkeiten. Die lassen sich aneignen, die persönliche Passung nicht. (Was mich Sie ganz kurz nochmal auf die Cultural-Fit-Studie von Christoph Athanas erinnern lässt. Hier können Sie teilnehmen, es lohnt sich!)

Verglichen mit dem, was ich von anderen Unternehmen kenne, ist das revolutionär. Und kehrt meinen Lieblingsansatz „der Fachbereich ist der bessere Recruiter“ ja auch komplett um! Ich glaube aber auch nicht, dass es auf jeden Arbeitgeber übertragbar ist. Aber ein sehr spannender Ansatz. Fairerweise muss ich dazu schreiben, dass auch das Recruitingteam von BFFT sich diesen Prozess und diese Rechte „erarbeitet“ hat. Auslöser war die Idee von Tobias Ortner, mal die Rechnung aufzumachen, was günstiger (und inhaltlich sowieso viel besser weil nachhaltiger ist): Eine eigene Sourcing Abteilung aufzubauen oder weiter von Personalberatern abhängig zu sein? Die Antwort sollten Sie kennen. Er hat dann bei Null angefangen und sich nach und nach das Team aufgebaut. Irgendwann merkten sie, dass die Recruiter keine Zeit mehr für aktives Recruiting haben, wenn sie auch noch Gespräche koordinieren und Verträge verhandeln. Das war der Moment, die Rolle des Sourcers zu etablieren. Aktuell beschäftigt BFFT acht (!) Sourcer und fünf Recruiter! Bei einer Unternehmensgröße von unter 800 Mitarbeitern und einem Einstellungsbedarf von über 400 neuen Mitarbeitern in 2015.

Active Sourcing – lernt man nicht nebenbei und von selbst

Dass die eigentlichen Active Sourcing Strategien & Techniken gelernt werden müssen, leuchtet jedem ein. Wahrscheinlich waren die Social Recruiting Days in Berlin auch deswegen so ein Erfolg, weil thematisch ein großer Schwerpunkt auf Active Sourcing lag. Mit der absoluten Sourcing Expertin Barbara Braehmer, die mit intercessio Unternehmen nicht nur operativ unterstützt, sondern auch interne und externe Sourcing Trainings durchführt. So auch bei den Social Recruiting Days. Aber BFFT geht noch zwei Schritte weiter. Denn natürlich brauchen die Sourcer auch Ahnung von der fachlichen Materie. Heißt bei BFFT: Technik rund ums Automobil! Und ein weiterer Aspekt ist die Psychologie, insbesondere in der Gesprächsführung, aber auch in der Eignungsdiagnostik (siehe Folie 15). Weil alles zusammen viel Materie ist, bildet BFFT seine Sourcer acht Monate lang aus. Und jetzt kommen Sie 🙂 Wieviel Schulung hat Ihr Werkstudent, der „dieses Active Sourcing da“ machen soll, bekommen? Wenn die Recruiter wirklich fit in den Fachthemen sind, dann ziehe ich meine These, den Fachbereich mehr ins Recruiting einzubauen, gerne zurück. In den meisten Unternehmen ist das aber ja nicht der Fall.

 

Active Sourcing – oder geht es auch anders?

Sie wissen, ich bin ein gaaaaanz großer Freund von Recruiting über Netzwerke. Und Netzwerke bauen Sie eben auch (aber nicht nur) über Active Sourcing auf. Aber ob jetzt jedes Unternehmen ein eigenes Sourcingteam braucht? Ich glaube nicht. Ich bin Praktiker. Es gibt genug Jobs, die Sie auch heute noch über Stellenanzeigen besetzen können. Natürlich auch abhängig von Ihrem Ruf als Arbeitgeber und der Region. Und nach meinem Verständnis ist eigentlich der Fachbereich auch ein sehr guter Sourcer. Wenn er sich denn die Zeit nehmen (oder sie bekommen würde). Und wenn Sie nicht 400 neue Mitarbeiter im Jahr einstellen müssen, sondern nur 20-40, und Ihre Recruiter nicht mit administrativen Kram belastet werden (Termine mit Fachbereich koordinieren, BR Genehmigung einholen, Unterschriften für Verträge hinterherrennen etc.), dann kann aus meiner Erfahrung der Recruiter auch Sourcer in einer Person sein.

Was mich zum Abschluss zu meiner Frage an Sie bringt: Wie ist denn Ihre Recruitingabteilung aufgebaut? Welche Benchmarks können Sie miteinbringen? Zum Beispiel in der Frage, wieviele Recruiter/Sourcer braucht man eigentlich? Ich weiß, dass viele Recruiter 40 oder mehr Stellen betreuen und das für völlig normal halten. Vielleicht finden das manche toll, weil man damit zeigt, wie viel man wuppt. Meine Meinung: Zu glauben, ein Recruiter kann ersthaft aktiv für 40 Stellen recruitieren, ist, sorry liebe KollegInnen, absoluter Humbug! Das geht nicht. Außer, Sie geben gleich mal 20 „schwierige“ Stellen an die Personalberater ab. Aber das wollen Sie doch nicht mehr, oder? Ich halte 20 offene Stellen für die absolute Obergrenze, wenn der Recruiter auch der Sourcer ist (und nicht in internen administrativen Prozessen und Aufgaben ertrinkt!) Optimal sind 10-15! Außer natürlich, die Jobs unterscheiden sich alle minimal und Sie verwerten einen Kandidaten gleich für drei Stellen. Dann ist Ihre Besetzungswahrscheinlichkeit dreimal höher, bei gleichem Sourcingaufwand.

Ich hatte Tobias und Jan auch noch gar nicht gefragt!!! „Jungs, wie viele Stelle betreut denn bei Euch ein Sourcer?“

Ich bin auf den Austausch echt gespannt. Jeder, der mitmacht, wird einen Mehrwert liefern, um die deutschen Arbeitgeber mittel- bis langfristig besser im Recruiting aufzustellen. Das muss doch unser gemeinsamer Anspruch sein, oder?

Tatsache ist: Die HR / Recruitingabteilungen müssen sich autonomer aufstellen. Mehr aktiv in den Suchprozess rein, weniger administrativen Aufwand, mehr Entscheidungsbefugnis. Wie Sie das organisatorisch machen, da gibt es viele Optionen.

Zum Abschluss gibt jetzt hier noch das Interview zu sehen. Viel Spaß 🙂

Ich freue mich auf Ihre Kommentare, Ergänzungen und Erfahrungen!

Ihr Henrik Zaborowski