Recruiting geht auch ohne Schnickschnack recht erfolgreich. Denn das eigentliche Recruiting ist oft ganz einfach. Die wirklichen Schwierigkeiten stecken immer da, wo keine Software, kein „Kandidatenpool Anbieter“ und kein externer Berater rankommen. Aber das ist heute nicht mein Thema. Heute zeige ich Ihnen (mal wieder), dass Recruiting keine Zauberformel und auch kein Zaubertool benötigt. Und nicht teuer sein muss. Nicht umständlich. Und erst Recht nicht extravagant. Auch wenn Ihnen manche HR Softwareanbieter, HR Dienstleister, HR Berater etc. gerne etwas verkaufen möchten, dass Ihre Recruitingprobleme löst. Es kommt immer drauf an, was Sie brauchen. Und manchmal ist das nicht viel. Aber lesen Sie selbst.

Recruiting best practice

Vor einigen Wochen bekam ich die Anfrage, einen Leiter IT für ein mittelständisches, produzierendes Unternehmen (knapp 4000 MA) zu suchen. Ich bekam ein paar Rahmeninformationen und entschied mich dann, mir das mal anzuhören. Also, ab zum „Akquisegespräch“ zum potentiellen Kunden. Ich lernte drei Personen aus dem Management kennen, erfragte die Hintergründe der Suche, die Aufgaben und konkreten Anforderungen, Infos zur IT Abteilung, den Gehaltsrahmen, wägte kurz in meinem Kopf ab und sagte dann: „Ganz ehrlich, das sollte kein Problem sein„. Dieser Spruch ist nicht die beste Voraussetzung für harte Honorarverhandlungen, aber was sollte ich machen? Es war ja so. Natürlich kamen dann auch gleich wieder Zweifel, ob ich mich mit der Aussage nicht zu sehr aus dem Fenster lehne … und ich bin ja nun auch nicht der Top Verkäufer … aber nein, ganz ehrlich: Passende Kandidaten für diese Position zu finden, sollte wirklich kein Problem sein. Wenn es Probleme geben sollte, würden die ganz woanders stecken. Aber nicht im Kandidatenmarkt.

Recruiting – ohne Software

Ich bekam schließlich den Auftrag (ich konnte glaubhaft versichern, solche Positionen schon besetzt zu haben) und machte mich an die Arbeit. „Das ist doch mal die Gelegenheit, einen ATS Anbieter auszuprobieren„, dachte ich bei mir. Anbieter mit einem Monat kostenloser Testphase gibt es ja zur Genüge. Nach einer kleinen Analyse entschied ich mich für einen Anbieter, hatte in 3 Minuten einen Account angelegt und fing an, die Stelle anzulegen. Alles war fein, bis ich den Bewerbungsprozess so schlank wie möglich konfigurieren wollte. Ohne alles: Einfach nur Lebenslauf oder XING Profil angeben und fertig. Ging auch. Nur: Der Bewerber musste sich vorher registrieren! Und ich habe nirgendwo den Haken gefunden, um diese Option zu deaktivieren. Entschuldigung, was soll der Quatsch? Ich lasse doch einen gestandenen Leiter IT sich nicht registrieren müssen! Sie wissen doch, dass Sie im Schnitt 50% der Bewerber verlieren, wenn die sich bei Ihnen registrieren müssen. Also stoppte ich den Prozess und entschied mich, auf ein ATS zu verzichten. 

Kleine Anekdote: Einen Tag später rief mich natürlich der Vertriebler des ATS Anbieters an. Ich erzählte ihm von meinem „Problem“ und fragte, warum man die Registrierungsoption nicht deaktivieren könne. Das wüsste er auch nicht so genau, aber das hat vermutlich schon seine Richtigkeit, war seine Antwort. Wochen später traf ich einen der Gründer des Unternehmens auf der ZP16 und fragte ihn dasselbe. Er meinte: „Klar kann man das deaktivieren. Ist etwas versteckt. Aber es geht.“ Soviel dazu.

Randnotiz: Wenn Sie im Jahr mehr als 100 Bewerbungen bekommen … bitte bitte holen Sie sich ein E-Recruiting System! Bitte!! Ich rede hier nicht gegen den Nutzen von E-Recruitingssystemen. Die zaubern Ihnen aber keine Bewerber. Die helfen Ihnen „nur“, Ihre internen Abstimmungsprozesse und das Bewerbermanagement zu organisieren. Aber auch das ist sehr sinnvoll!

Recruiting – ohne Stellenanzeige

Im Recruiting gibt es ja zwei klassische Vorgehensweisen:

Sie schalten eine Anzeige oder Sie sprechen direkt potentielle Kandidaten an. Ich bin ja kein Freund von Anzeigen, aber a) ist die Wahrscheinlichkeit bei so einer Position hoch, eine Menge interessanter Bewerbungen zu bekommen und b) wollte ich mal wieder Indeed ausprobieren. Kostengünstiger können Sie keine Anzeige schalten. Also loggte ich mich in mein Indeed Konto und fing an, die Stellenanzeige einzugeben. War auch alles ok, bis ich den Standort angeben sollte!

An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass die Stelle zu dem Zeitpunkt noch besetzt war, der Stelleninhaber aber noch nichts davon wusste, dass er bald nicht mehr Leiter IT ist. Um auch ja keine Rückschlüsse zuzulassen, wollte ich nur eine Region angeben. Das ging aber nicht. Oder ich war zu blöd! Ich hätte eine falsche Stadt (in der Region) angeben können, das widersprach aber meiner Überzeugung. Doof, oder? Außderm hatte ich ja auch kein ATS, was bei der zu erwartenden Anzahl von Bewerbungen suboptimal ist. Ergebnis: Ich verzichtete auf Indeed und überhaupt die Schaltung einer Stellenanzeige. Wer braucht die schon?

Recruiting – ohne Research

Natürlich hat mich der Kunden nach meinem Vorgehen gefragt. Und ich sagte ganz offen, dass ich zuversichtlich bin, über XING passende Kandidaten zu finden. Ich kenne einige sehr gute Researcher, die mich mit Sicherheit gerne unterstützt hätten, wie im klassischen Headhunting aus einer Zielfirmenliste die Leiter IT zu identifizieren und anzusprechen. Aber ich war der Meinung, dass das nicht nötig ist. Und wollte es auf jeden Fall erstmal so ausprobieren.

Recruiting – ohne XING Talent Manager (XTM)

Jetzt bin ich ja ein großer Freund von Netzwerken und Sourcing. Wissen Sie ja. Natürlich ging ich erstmal meine Kontakte im Geiste durch und sah mir die Profile nochmal auf XING an. Es gab ein paar harte fachliche Anforderungen, die fast keiner meiner Kontakte erfüllte. Nur einer. Den schrieb ich auch an. Und telefonierte wenig später mit ihm. Er hatte aber inhaltlich einen anderen Plan für seine Karriere, nannte mir aber sofort zwei Kollegen, die den Job könnten. Die wollten aber aufgrund der Region nicht. Also musste ich neue Kontakte erschließen.

Jetzt bin ich zwar seit 2004 zahlendes Mitglied bei XING und hätte damit noch ein größeres Kontingent an Nachrichten an Nicht-Kontakte als die heutige Premium Mitgliedschaft erlaubt. Ein kleiner Kreditkartenfehler hatte mich aber vor ein paar Jahren für einen Tag auf die Basis Mitgliedschaft gesetzt und damit hatte ich leider die Vorzüge der alten Premium Mitgliedschaft verloren. Sehr sehr bedauerlich. Mit der heutigen Premium Mitgliedschaft  können Sie maximal 30 Nachrichten pro Monat an Nicht-Kontakte verschicken. Nicht viel, wenn Sie „auf Kandidatenfang gehen“, oder?

Die Lösung wäre der XING Talent Manager, mit dem a) bessere Suchergebnisse möglich sind und der b) deutlich bessere Filtermöglichkeiten bietet als die Premium Mitgliedschaft. Aber brauchte ich den wirklich? Ich entschied mich, dass es auch so gehen muss. Ich mach den Job ja schon ne Weile, das muss doch auch zu was gut sein, oder?

Recruiting – ohne Anschreiben und Lebenslauf

Die Überschrift stimmt nicht ganz, aber ich möchte Ihnen damit etwas deutlich machen. Mein Ablauf war: Ansprache auf XING, Rückmeldung abwarten, Telefonat, Entscheidung für oder gegen ein persönliches Gespräch. Und erst dann habe ich die „Kandidaten“ um einen Lebenslauf gebeten. Da wurde die Entscheidung für das persönliche Kennenlernen im ersten Telefonat getroffen. Ich brauche nicht zwingend einen CV, wenn ich ein XING Profil und ein Telefonat haben. Wirklich nicht! Und ein Anschreiben sowieso nicht. Was soll das? Nicht in dieser Situation.

Recruiting – Fokus, Fokus, Fokus

Da stand ich nun also. Ohne Stellenanzeige, ohne ATS, ohne XTM und ohne Research! Und ich konnte die Stelle besetzen. Wie? Um es kurz zu machen, habe ich mal eine süße „Rezept-Grafik“ erstellt 😉

Erfolgreiches Recruiting

Das nenne ich ein optimales Projekt, oder? Ich brauche keine XTM, wenn ich nur neun Personen anspreche! Und für so eine Position brauchen Sie keine 30 oder 50 XING Mitglieder ansprechen. Das wäre Wahnsinn! So viele Ansprachen müssen Sie nur machen, wenn

  • Sie den Job inhaltlich nicht verstanden haben und im Nebel stochern (es gibt viele „Arten“ von IT Leitern, aber ich brauchte spezifische Skills und Erfahrungen, das grenzte die Möglichkeiten ein)
  • Sie keine Ahnung haben, wen Sie eigentlich suchen (und die Vorauswahl beginnen, wenn sich die Personen zurückmelden)
  • Sie einen „Allerweltsjob“ zu vergeben habe, auf den kaum jemand Lust hat
  • Sie „Indiander“ suchen, die weiter „Indianer“ sein müssen.
  • Sie einen Spezialisten suchen, der kaum am Markt vorhanden ist und jeden ansprechen müssen, den Sie überhaupt finden

Und ja, natürlich war da auch eine Menge Glück dabei! So eine hohe Responsequote habe selbst ich fast nie. Aber hey, wenn die neun nicht reagiert oder gepasst hätten, hätte ich ja immer noch 10-20 weitere Mitglieder ansprechen können. Also erstmal abwarten, was passiert!

Jetzt denken Sie vielleicht: „Zaborowski, Du faule Socke, wieso hast du nur neun Personen angesprochen? Das ist doch nicht seriös! Wofür wirst du bezahlt?“ Nun ja, wenn ich mich nicht irre, werde ich für das Ergebnis bezahlt, oder? Und ich hasse unnötige Arbeit. Wirklich. Ich habe etliche Stunden in den Search auf XING investiert. Auch deshalb, weil mir die Filtermöglichkeiten des XTM fehlten. Und dann habe ich nur die Personen angesprochen von denen ich sehr sehr sicher war, dass sie a) den Job können und b) die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie wechselbereit sind.

Von den neun Personen hat einer nicht reagiert und einer mir direkt abgesagt. Zwei waren offen, haben dann aber abgewunken, als sie das Gehalt hörten. Fünf hatten Interesse und konnten den Job auch (zumindest waren wir beide uns darüber einig ;-)). Mein Kunde sah das übrigens genauso, wie Sie an der Einladungsquote sehen.

Recruiting – warum Sie sich oft selbst im Weg stehen

Sie sehen also, es gibt Positionen, die lassen sich ohne viel Schnickschnack besetzen. Bei anderen Positionen gilt das nicht, keine Frage. Aber wissen Sie vorher, zu welcher Fraktion Ihre gerade zu besetzende Position gehört?

Und jetzt verrate ich Ihnen etwas ganz Wichtiges: Wenn Sie ein ATS haben und Budget für eine Stellenanzeige und sich gerne wichtig fühlen und zeigen wollen oder müssen, dass Sie so beschäftigt sind und so viele Bewerbungen sichten und Bewerbungsgespräche führen … dann machen Sie sich das Leben selber schwer. Denn alle diese Faktoren verleiten Sie dazu, eine Anzeige zu schalten und jede Menge sinnvolle und sinnlose Bewerbungen zu bekommen. Und sich damit jede Menge Arbeit aufzuhalsen. Sie brauchen aber nur 3-5 passende Bewerbungen! Nicht mehr! Und die bekommen Sie sehr häufig über andere Wege! Machen Sie sich das Leben nicht unnötig schwer. Fokussieren Sie sich! Haben Sie Mut zur Lücke!

Und eins noch: Ich habe in meinem Leben etliche Projekte gehabt (und werde sie auch weiter haben), wo es nicht so einfach geht. Dieses Projekt ist nicht respräsentativ! Glauben Sie nicht, dass Sie alles falsch machen, wenn es bei Ihnen nicht so läuft. ABER so kann Recruiting eben auch laufen. Und so sollte es auch laufen.

Ich mache hier Schluss. Und verrate Ihnen noch etwas: Bis hier hin war es handwerkliche Arbeit, unterfüttert von Erfahrung, Können und auch Glück. (Für eine spannende Stelle finden Sie leichter Kandidaten als für eine Allerweltsstelle. Leider sind die meisten Jobs Allerweltsjobs …). Aber das Finden der passenden Kandidaten ist erst der Anfang der Stellenbesetzung. Jetzt kommt der eigentlich spannende Teil. Für den brauchen Sie die „geheime Zutat“! Und was das ist, das verrate ich Ihnen im nächsten blogartikel 😉

Also, ich  hoffe, wir lesen uns wieder!

Herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski