Wenn ein führender HR Kopf wie Thomas Sattelberger wie gerade wieder im Interview mit dem tagesspiegel vernichtende Krititk an der bestehenden Personalpraxis und -philosophie in deutschen Unternehmen übt („Die Kens und Barbies im Businessoutift“), sollte uns das zu denken geben. Schlimmer noch: Er hält eine Veränderungen zum Besseren erst in ein paar Jahrzehnten für abgeschlossen. Aber sie wird kommen (müssen). Denn wie ich schon mal schrieb – im 6. Kontradieff werden die Mechanismen der alten Industriegesellschaft nicht mehr funktionieren. Und wir müssen heute anfangen, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Vor allem in der Personalpolitik.

Personalauswahl aus alten Zeiten taugt für die Zukunft nicht mehr

Was ist unser größtes Problem dabei? Der Erfolg der alten Generation.

Erfolg macht sexy, Erfolg gibt Recht. Erfolg ist die einzige „Wahrheit“ in unserem Wirtschaftssystem. Seien Sie erfolgreich (warum auch immer, für die Gründe müssen Sie noch nicht einmal etwas können) – und Sie werden bewundert, Ihnen wird zugehört und Sie bekommen Recht. Immer! Und dann können Sie die Spielregeln diktieren. Frage: Bleiben Erfolgreiche automatisch erfolgreich? Nein, zumindest nicht in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte. Die jüngste Geschichte zeigt uns pompös anhand RIM (Blackberry) und Nokia, aber auch etwas schwächer z. B.  anhand von Microsoft, dass auch Branchenriesen nicht vor dem Fall sicher sind und früher bewährte Geschäftsmodelle ins Wanken kommen. Lehrt uns das irgendetwas? Naja, es sollte. Die Praxis sieht anders aus. Unsere Führungsetagen fahren zwar nur noch „auf Sicht“, machen aber in der Personalpolitik weiter wie bisher. Hat ja alles lange genug funktioniert. Oder um einen mir bekannten Geschäftsführer zu zitieren: „Ich habe in den letzten Jahren sehr erfolgreich ein Unternehmen aufgebaut. Ich kann also nicht so viel falsch gemacht haben. Warum soll ich etwas ändern?“ Ein Gedanke, dem sich nur schwer was entgegenhalten lässt. Es ist ja auch reine Spekulation, ob es anders nicht auch funktioniert oder vielleicht noch erfolgreicher gewesen wäre.

Die gängige Personalauswahl – das Kind schwacher, fauler Führungskräfte

Und unser Bildungssystem?

Das richtet sich, wie Thomas Sattelberger plakativ herausstellt, nach dem, was die Wirtschaft fordert – und bildet Barbies und Kens in Businessoutfit aus, die zwar komplexe Zahlenwerke beherrschen, aber nicht in der Lage oder Willens sind zu hinterfragen, „anders“ zu denken, Philosophie und Ethik als mehr als nur ein Alibizusatzfach zu verstehen und letztendlich für den Wandel der Wirtschafts- und Arbeitswelt so gut wie nicht vorbereitet sind.
Und wir Arbeitnehmer? Wir passen uns immer noch an. Zumindest viele von uns. Klar, wir sind nicht dumm. Frau (Mann) und Kinder schreien nach Brötchen. Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied ich sing. Also machen wir das, was der Arbeitsmarkt von uns fordert. Mit Ausnahme der einen Hälfte der Generation Y, die lieber auf persönliche Freiheit setzt und aus dem Standard ausbricht. Die andere Hälfte macht weiter wie bisher, nur wahrscheinlich noch perfekter (wer mehr zu den ersten Forschungsergebnissen von Prof. Dr. Peter Kruse erfahren will, hier habe ich darüber geschrieben). Aber Sattelberger hat Recht: Ein Geisteswissenschaftler, der in Deutschland in einer Bank Karriere macht? Eher die Ausnahme, auch wenn es lobende Gegenbeispiele gibt, wie Gero Hesse in seinem saatkorn Artikel „Exoten in die Unternehmen“ gezeigt hat. Warum sind Exoten so selten? Weil Hiring Manager mehr Arbeit in das Anlernen eines Exoten stecken müssen und weil im Falle eines Scheiterns jeder sagt „Siehste, wusste ich es doch. Nimm halt keinen Exoten“. Warum sollte sich ein Hiring Manager diese Mühe machen? Genau.

Ich habe schon im Jahr 2001 in meiner Diplomarbeit behauptet, dass die gängige Personalauswahlpraxis (aber auch die Bewerbungspraxis) nichts taugt. Und ich muss nach über 12 Jahren Recruitingerfahrung feststellen, dass ich immer noch Recht habe. Sorry. Der Grund: Unsere gängige Personalauswahlpraxis ist vor allem von gedankenfaulen Kleingeistern und schwachen Führungskräften geprägt worden! (Das HR in der Auswahl keine Rolle spielt, darauf gehe ich hier jetzt nicht ein). Liest sich hart? Ja, aber hart ist auch das Leben an der Küste. Ich werde Ihnen gleich und in späteren Artikeln beweisen, dass ich Recht habe. Und ich habe ja durchaus auch Verständnis für dieses Verhalten. In einer Zeit, in der Menschen vor allem für das Abarbeiten der immer gleichen Aufgaben eingestellt wurden und es genug Bewerber gab, brauchte ich mir mit der Personalauswahl auch keine Mühe geben. Aber die Zeit sind langsam vorbei, liebe Freunde. Was mir Angst macht: Sind die aktuellen Hiring Manager und Führungskräfte die richtigen Persönlichkeiten, um uns erfolgreich in die sich immer schneller wandelnde Zukunft führen können? Nein, nicht wenn sie an ihren alten Glaubenssätzen festhalten. Was können wir tun? Den Wandel gestalten. Gegen den Widerstand der Etablierten. Denn wie Sattelberger in einem Vortrag an der Uni Siegen sagte „Wer gute Führung will, muss herrschende Ideologien anfechten.“ Also, auch seinen Managementkollegen gegenüber vertreten, warum ein Exote den Job kann und im Falle eines Scheiterns dazu stehen (vielleicht wäre der „Insider“ ja auch gescheitert?).

Also, fangen wir an. Lassen Sie uns mal ein paar Recruiting-Glaubenssätze der alten (und noch aktuellen) Führungsgeneration hinterfragen. Wenn Sie beide Seiten kennen und wissen, dass Erfolg nicht automatisch das Synonym für „klug, intelligent, richtig, wahr“ ist, dann fällt Ihnen das gar nicht mehr so schwer. Nur Mut, es tut nicht weh.

Personalauswahl Irrtum Nr. 1

„Wer zu häufig den Job gewechselt hat, kann nicht gut sein“

Ich kenne viele Hiring Manager, die grundsätzlich niemanden einstellen, der öfter mal nach nur zwei bis drei Jahren den Job gewechselt hat. Die mit so jemanden auch noch nicht mal reden und sich die Gründe schildern lassen. Dumm, dumm, liebe Leute. Na klar, häufige Jobwechsel können ein Zeichen sein, dass jemand den Job nicht konnte oder so ein Querkopf ist, dass er überall für Unruhe sorgt. Können, müssen aber nicht. Das sollte man prüfen, denn die Tatsache häufiger Wechsel lässt noch keine Aussage über die Leistung zu (genauso wenig wie Bewerbungsfotos, aber das ist ein anderes Thema).

Fragen Sie sich mal selbst: Wenn jemandem ein Mißgeschick passiert, dann denken wir spontan „selber schuld“, oder? Es ist ein bekannter, menschlicher Fehler, dass wir die Schuld immer zuerst bei der anderen Person, und nicht z. B. bei den Umständen, suchen. Um uns selber zu schützen. Nach dem Motto: „Mir würde so etwas nicht passieren. Da müsste ich ja alles falsch machen“. Genauso geht es uns mit jemandem, der häufig gewechselt hat. Wir werden sofort mißtrauisch und unterstellen erst mal, dass die Gründe in der Person liegen. Dabei gibt es rein statistisch mindestens genauso viele Gründe, warum es nicht am Einzelnen lag. Gründe für die Wechsel können auch beim Chef, an organisatorischen Veränderungen, an der Konjunktur, an Fehlentscheidungen des Managements, an persönlichen Schicksalschlägen, an nicht eingehaltenden Versprechungen, am Vorgesetztenwechsel, einem langweiligen Job, zu großem Erfolg und und und gelegen haben. Bei jedem Wechsel einen anderen Grund. Ich kenne genug Arbeitnehmer, denen es so ergangen ist.

Häufige Wechsel sind per se kein Indikator für (Nicht-)Leistung. Höchstens für Persönlichkeit (die nicht alles mit sich machen lässt bzw. dem Chef widerspricht. Womit wir es wieder haben: We hire for skills and fire for attitude.) Genauer betrachtet ist die Einstellung gegen häufige Wechsel in erster Linie eine sichere Wahl, die nicht viel Arbeit macht. Und gründet nicht in komplexen Überlegungen. Sondern dahinter stecken nur zwei Gedanken: Wer lange bei einem Arbeitgeber blieb, der ist offensichtlich loyal (d. h. macht keinen Ärger) und kann seinen Job (sonst wäre ihm ja irgendwann gekündigt worden). Na toll, so einfach ist Personalauswahl? Nee, oder?

Jetzt bin ich mal böse und bringe eine andere Sichtweise rein: Wer lange bei einem Arbeitgeber ist/war, der hatte Angst vor einem Wechsel, hat es sich im Unternehmen bequem gemacht, wurde von anderen Unternehmen nicht genommen, ist nicht flexibel, hatte einen schwachen Chef der ihn nicht gefordert hat, kann sich nicht mehr umstellen, hat bisher nicht bewiesen, auch in einem anderem Umfeld erfolgreich zu sein und so weiter. Tja, liebe Hiring Manager. Ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass der Bewerber mit wenigen Wechseln bei euch versagt, ist genauso groß wie bei dem mit den häufigen Wechseln. Oder vielleicht noch höher?

Personalauswahl und die Vorteile häufigerer Wechsel

Was aber anscheinend kaum jemand bisher in der Personalauswahl bedacht hat: Es gibt große Vorteile von Bewerbern mit häufigen Wechseln!

Und da kann ich mich einfach als Beispiel nehmen. Nach 5, 5 Jahren in einem Unternehmen wollte ich den Wechsel. Ich war erfolgreich, aber eingefahren. So ging es nicht weiter. Die nächste Station sollte eigentlich mindestens genauso lange dauern wie die davor, hielt aber dann doch nur ein Jahr. Dann musste ich mir was Neues suchen. Damals hatte ich noch eine Krise! „Nein, wie sieht mein Lebenslauf jetzt aus! Der nächste Schritt muss sitzen. Noch so eine kurze Station kann ich mir nicht leisten. Sonst ist mein CV hinüber“. Tja, und die nächste Station ging dann auch daneben. („Witzigerweise“ lag es nicht an meiner Leistung) Und jetzt? Krise?

Nein! Ich habe in den letzten 2,5 Jahren so viel gelernt, wie in den 5, 5 Jahren vorher nicht. Neue Persönlichkeiten und Sichtweisen kennengelernt, neue Fähigkeiten und Stärken entdeckt und ausprobiert, meine Schwächen bestätigt bekommen, ganz neue Kontakte geknüpft, in für mich neue Wirtschaftsbereiche reingeschaut – kurz: Meinen Horizont erheblich erweitert! Liebe Führungskräfte – soll das ein Nachteil sein? Ha, im Leben nicht! Und, was noch viel wichtiger ist: Ich habe neue Unternehmenskulturen und Führungsstile kennengelernt und weiß jetzt noch viel besser als früher, was ich will und unter welchen Umständen ich zu Top Leistungen in der Lage bin – und unter welchen nicht. Ein Traum für jeden neuen Arbeitgeber! Mit so einem Bewerber können Sie ganz anders arbeiten! Dem müssen nicht Sie die geheimsten Geheimnisse entlocken, um zu gucken, ob er in Ihr Unternehmen passt. Der erzählt Ihnen freiwillig selber, wo die kritischen Punkte sein können. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich als Bewerber kritischer mit einem neuen Arbeitgeber auseinandersetze und am Ende die richtige Entscheidung treffe (und nachher auch glücklicher im Job bin) ist also viel viel größer als vorher. Ich sehe nirgendwo einen Nachteil. Außer natürlich, ein Bewerber ist völlig verzweifelt und erzählt Ihnen alles was Sie hören wollen, um den Job zu bekommen. Aber hochqualifizierte, verzweifelte Spezialisten werden Sie in Zukunft immer weniger finden. Eher selbstbewusste, kritische Bewerber. Was mancher Hiring Manager als persönliche Beleidigung auffassen könnte. Aber das ist sein Problem.

Personalauswahl „anders“ – die Tür zur erfolgreichen Zukunft

Lassen Sie es mich prophezeien: Was früher und heute noch ein Stolperstein für die weitere Karriere bedeutet – der „Bruch“ im Lebenslauf – wird der entscheidene Wettbewerbsvorteil zukünftiger Arbeitgeber werden. Liebe Hiring Manager: Vergesst Talent Management im Sinne einer Karriere in einem Unternehmen. Lasst eure Talente friedlich und fröhlich ziehen! Sie sammeln Erfahrungen, die sie bei euch nie machen werden. Und wenn ihr wirklich gut seid und ihr mit ihnen in Kontakt bleibt, dann kommen sie irgendwann wieder!!! Und bringen neue Gedanken, neue Sichtweisen, neue Kontakte mit.

Ein Traum, oder? Und es kann so einfach sein. Einfach mal das Gehirn einschalten und sich für den Menschen interessieren, der einem gegenüber sitzt. Und nicht für die zwei Seiten Lebenslauf, die ihn angeblich repräsentieren. Die Bewerber müssen natürlich auch ihre Hausaufgaben machen. Ich muss wissen, was ich kann und will. Und das zeigt mir nur die Erfahrung der Jahre. Liebe Absolventen, kleiner Tipp: Sammelt viele verschiedene Erfahrungen. Und gebt Euch Zeit. Keiner weiß mit 25 Jahren wirklich schon, was er kann. Ich bin jetzt vierzig und bekomme langsam erst eine Idee davon. Naja, vielleicht bin ich auch ein komplizierter Fall …

Im nächsten Artikel (hier geht es lang) erkläre ich Ihnen, dass Noten aus Abitur und Studium keine Aussagekraft über die Leistungen im Beruf haben. Wird ein kurzer Artikel. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Und ist ein perfektes Beispiel für die Faulheit der Hiring Manager. Noten als Auswahlkritieren sind einfach nur einfach – intelligent ist anders. 

In diesem Sinne,

Ihr Henrik Zaborowski