Kann es sein, dass wir hippen Recruiter, die wir uns zwecks Recruiting und Employer Branding in den Social Networks tummeln, allein auf weiter Flur sind? Nämlich ohne Bewerber? Weil die noch gar nichts von Social Media (Recruiting) wissen? Dieser Eindruck drängt sich mir zumindest gerade auf. Denn ich hatte zwei interessante Erlebnisse – die mich zum Schmunzeln und Nachdenken gebracht haben. Und ist, konsequent gedacht, Social Media Recruiting in der aktuellen Form nicht doch nur eine Perversion des Netzwerkgedankens? Ich befürchte es.

Social Media Recruiting – in leeren Sozialen Netzwerken?

Ich war in den letzten Wochen zweimal an einer renommierten Dualen Hochschule. Beim ersten Mal hatten mich Studenten (5. Semester, Fachrichtung Handel/Logistik) im Rahmen eines Projektes zu einem Impulsvortrag zum Thema „Generation Y & Employer Branding“ eingeladen. Da die inhaltlichen Vorgaben gering waren, habe ich noch ein paar Gedanken zur „Zukunft der Arbeit“ mit rein gepackt und das ganze mit „Recruiting“ verknüpft. Ich liebe so etwas! Vor mir war noch ein anderer Redner (ebenfalls aus der Recruitingbranche) dran, der Einblick in die Employer Branding Möglichkeiten auf und über die Sozialen Netzwerke gab. Und dabei u.a. Netzwerke bzw. Produkte nannte, die ich noch nie gehört hatte (einiges aus den USA, natürlich). Ich fühlte mich durchaus ein wenig „abhängt“ und nicht mehr up2date. Leichte Unsicherheit/Panik brach in mir aus. Was hatte ich nicht schon wieder alles verpasst in dieser schnelllebigen Welt?!

Meine Panik knallte schlagartig gegen die Wand, als ich während meines Vortrags spontan und nur grob abfragte, in welchen Sozialen Netzwerken die Studenten denn so aktiv unterwegs sind. Bei Facebook gingen viele Hände hoch, bei Twitter nur eine Handvoll! Xing / Linkedin ebenfalls. Auf die Frage nach Alternativen kam fast nichts. Das ließ mich durchaus erstaunt zurück. Wenn diese Jungs & Mädels der Generation Y, alle in einer Ausbildung bei durchaus auch namhaften Großunternehmen, alle intelligent genug für ein Studium, also alle irgendwie pauschal High Potentials, wenn die also alle maximal auf Facebook sind – wer ist denn dann eigentlich in den Sozialen Netzwerken? Nur Recruiter und Social Media Berater? (Naja, meine timeline bei Twitter könnte diesen Eindruck zumindest bestärken).

Der zweite Aha-Moment kam dann bei der Diskussion. Ich hatte den Studenten empfohlen, für ihre Bewerbungen und die Informationsbeschaffung über potentielle Arbeitgeber stärker ihr Netzwerk und solche Plattformen wie Xing oder kununu zu nutzen. Und einen Ausblick gegeben, dass in früherer oder späterer Zukunft Bewerbungen per Smartphone allein mit einem Profil aus den Sozialen Netzwerken Standard werden könnte (Sie, geschätzte Leser, kennen das unter dem Stichwort Mobile Recruiting). Da fragte einer der Studenten, wie er sich denn „dieses Recruiting mit Xing“ vorstellen müsste? Und ein anderer meinte, dass „Mobile Recruiting doch wohl nicht richtig sein kann. Denn schließlich will man als Bewerber dem potentiellen Arbeitgeber doch auch zeigen, dass man sich mit seiner Bewerbung Mühe gegeben hat“. Ich war sprachlos! Nein, war ich natürlich nicht (Sie kennen mich). Statt aber noch einmal ausführlicher darauf einzugehen, warum „die perfekte Bewerbung Schwachsinn ist“, stellte ich die These auf dass, wenn wir wirklich, wirklich in einen Fachkräftemangel kommen (die Zahlen sprechen dafür), normal qualifizierte Bewerber sich keine Mühe mehr geben müssen. Weil sie sich die Jobs aussuchen können. Und dass die Stellenbesetzung nicht mehr über Stellenanzeigen, sondern nur noch über Netzwerke laufen wird. Klar, dass ich mit solch „steilen“ Thesen die Aufmerksamkeit, aber auch Skepsis auf meiner Seite hatte.

Naja, etwas selbstkritisch muss ich sagen: Das hört sich natürlich alles sehr schön an, visionär und so. Rein logisch und konsequent in die Zukunft gedacht, bin ich mir auch sicher, dass ich Recht habe. Aber nach dieser Erfahrung mit den Studenten bekam ich an meiner These Zweifel. Was ist, wenn die Arbeitgeber irgendwann alle in den Sozialen Netzen recruitieren wollen (machen aktuell ja immer noch die wenigsten) – aber die Zielgruppe weiß gar nichts davon und ist nicht da? Und dass Mobile Recruiting bei Bewerbern noch auf keine Zustimmung stößt, haben ja schon ganz andere als ich herausgefunden.

Jetzt war ich vor kurzem das zweite Mal an dieser Dualen Hochschule. Diesmal ging es um den Start einer Projektarbeit zum Thema Soziale Netzwerke für Recruiting / Vertrieb. Anwesend waren Studenten des 6. Semesters. Wieder die Abfrage, wo die Studenten denn so aktiv sind. Wieder das gleiche Ergebnis. Ich erzählte von dem Friseur, der über Pinterest einen neuen Job gefunden hat. Wer kannte Pinterest? Keiner!! Pinterest – DER Hoffnungsträger des zukünftigen Employer Brandings! Also, nicht falsch verstehen: Die Frage war nicht, wer ist auf Pinterest aktiv – sondern wer kennt es überhaupt? Von knapp 50 Studenten war keiner dabei.

So, liebe Leser, was nun? Jetzt wäre es einfach zu sagen: „Naja, das war halt Duale Hochschule. Die sind alle etwas pragmatischer. Und dann auch noch Schwerpunkt Logistik/Handel. Keine hippen SW-Entwickler. Zaborowski, das war die falsche Zielgruppe“. Ja, ich gebe zu, das ist eine Erklärung. Ich meine, wer aus dem Management oder HR in den meisten Unternehmen kennt sich mit Sozialen Netzwerken aus? Je, eben. Warum sollte das beim „Otto Normal Bewerber“ anders sein? Ich persönlich bewege mich halt „in der Blase“, die ich für die Realität halte. Ich weiß jetzt gerade nur nicht, ob es besser wäre, wenn die Blase platzt – oder nicht?

Social Media Recruiting – ein pervertierter Netzwerkgedanke?

Unabhängig von meinem gefühlten oder realen Blasenleben erlebe aber tatsächlich in meinen Gesprächen mit Bewerbern aller Generationen, dass eine große Ahnungs- und Ideenlosigkeit herrscht, wie denn Soziale Netzwerke bei einer beruflichen Umorientierung / einem Jobwechsel genutzt werden können. Bei den Berufserfahrenen wird in der Regel zuerst das eigene Netzwerk abgeklappert. Sehr gut! Aber wenn das nicht funktioniert, ist die nächste Alternative gleich der bekannte Weg der Bewerbung auf Stellenanzeigen (oder ab einer gewissen Hierarchieebene der Weg über den Personalberater seines Vertrauens). Aber die Idee, Recherche nach Unternehmen zu betreiben und sich dann umzuschauen, wer von meinen Kontakten evtl. jemanden kennt, der wiederum jemanden kennt, der mir in dem Unternehmen weiterhelfen könnte …? Fehlanzeige! Das gilt für junge Arbeitnehmer erst Recht. Die denken sowieso, dass sie kaum ein relevantes Netzwerk haben.

Wer ist jetzt „auf dem falschen Dampfer“? Die Recruiter oder die potentiellen Bewerber? Ich würde sagen: Beide! Denn beide haben den Sinn der Netzwerke noch nicht verstanden. Ich werde mich in den nächsten Wochen ausführlicher mit dem Thema beschäftigen (im Moment organisiere ich gerade meinen blog-Umzug, deswegen sind meine Blogaktivitäten gerade etwas eingeschränkt …)).

Aber soviel kann ich schon verraten: (Soziale) Netzwerke sind nicht für die Art von Recruiting gedacht, wie wir es kennen! Ein echtes Netzwerk verbindet Menschen, die sich gut kennen oder, etwas geschäftlicher gedacht, eine verbindliche Vereinbarung getroffen haben, sich gegenseitig zu unterstützen. In einem Netzwerk empfiehlt man sich untereinander, man tritt auch für einander ein. Manchmal im eigenen Interesse, mal auch uneigennützig oder in der Hoffnung, irgendwann mal selber Hilfe zu bekommen. Das kann sogar noch in ganz großen Netzwerken funktionieren, in denen nicht mehr jeder jeden kennt. In Netzwerken von Elite Unis oder Top Strategieberatungen weiß z. B. jeder: Keiner hier kann eine echte Pfeife sein! Jeder hat ein ähnliches hohes Bildungsniveau, die gleiche Ausbildung genossen oder gesellschaftlichen Hintergrund. Echte negative Ausreißer gibt es hier (so gut wie) nicht.

Bei den Sozialen Netzwerken im Netz ist das anders! Hier darf jeder mit jedem netzwerken. Xing z. B. ist ein Tummelplatz für alle geworden, die etwas verkaufen wollen. Und Sie und mich mit Kontaktanfragen überhäufen. DerLarsHahn hat das gerade wie schön beschrieben und Konsequenzen gezogen. Oder genau wie Linkedin ist Xing durchsetzt von Recruitern, die ihre Jobs an den Mann/die Frau bringen wollen. Das hat nichts mit „netzwerken“ im ursprünglichen Sinn zu tun. Ich habe mittlerweile 1500 Kontakte! Wen davon kenne ich wirklich? Genau! Natürlich habe ich über Soziale Netzwerke auch sehr interessante neue Menschen „kennengelernt“. Und Xing hilft mir ungemein, Menschen wieder zu finden, mit denen ich vor drei Jahren mal Kontakt hatte, und denen ich heute einen Job anbieten könnte.

Aber wir müssen doch mal ehrlich sein: Facebook, Xing & Co. sind inzwischen ein loses, zufälliges Sammelsurium irgendwelcher Menschen dieser Welt, von denen einige wenige sichtbare Selbstdarsteller sind und die meisten anderen zwar virtuell existieren, aber nicht präsent sind. Und dass es dann immer noch Menschen gibt, die genau auf so etwas keine Lust haben und in gar keinem Sozialen Netzwerk sind – das ist schon fast wieder beruhigend zu sehen.

Von daher verwundert es nicht, wenn lt der aktuellen Pape Recruiting Trend Studie (auf die ich demnächst noch näher eingehen werde) die meisten Arbeitgeber mit ihren Active Sourcing und Social Media Recruiting Bemühungen unzufrieden sind. Abgesehen davon, dass manche Ursachen vermutlich auf selbstgemachten Fehlern beruhen, ist die Vergewaltigung und das Verbrennen der Sozialen Netzwerke durch Heerscharen von Recruitinganfängern & -söldnern ein Umgang, der der Idee von Netzwerken komplett widerspricht. Xing und Linkedin haben sich (auch wenn Xing das anders verkauft), schon lange vom Netzwerkgedanken verabschiedet. Und melken nun ihre „menschliche Datenbank“ zur Profitsteigerung. Völlig legitim, aber der Todesstoß für jeden Netzwerkgedanken. Und wenn dann, lt. Pape Studie und den Erfahrungen vieler Recruiter, immer mehr Menschen („Kandidaten“) zunehmend genervt von den ständigen Recruiteranfragen sind, dann werden sich immer mehr Menschen wieder aus diesen Netzwerken verabschieden. Wenn das heute schon so ist, wo doch nach dem ganz brandneuen ICR Active Sourcing Report 2013 von Wolfgang Brickwedde fast die Hälfte (48,8 %) der Unternehmen nur unter 10 % ihrer Bewerber über Active Sourcing generieren – wie wird das dann in der Zukunft sein? Wenn sich noch mehr Recruiter auf die Netzwerke stürzen?

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Wo wir gerade beim Stichwort „Netzwerk“ sind, einen habe ich noch für Sie, zum Nachdenken: Die erfolgreichste Recruitingmethode ist lt. der Pape Studie das Recruiting über eigene Netzwerke und Empfehlungen. Wer hätte das gedacht? Allerdings behaupten die befragten Studienteilnehmer, diese Methode sei endlich. Und greifen deshalb lieber weiter auf alle anderen Methoden zurück – obwohl sie mit denen ja nicht wirklich zufrieden sind. Jetzt für Sie: Hat das Recruiting über persönliche Netzwerke und Empfehlungen wirklich seine Grenzen? Oder liegt die „Endlichkeit“ dieser Methode nicht vielleicht darin, dass die Grenzen nicht konsequent erweitert werden?

Eine Antwort dazu gibt es demnächst hoffentlich hier. Oder jetzt schon durch Ihre Kommentare? Ich würde mich freuen.

Beste Grüße,

Ihr Henrik Zaborowski