Personalauswahl und ihre Mythen … ich bewundere die Eignungsdiagnostiker, ehrlich! Mit welcher Demut, Geduld und Weisheit (oder ist es inzwischen Resignation?) sie es ertragen, dass die Erkenntnisse der letzten 40 oder 50 Jahre wissenschaftlicher Forschung zur Personalauswahl von der Praxis (Arbeitgeber, Personaler) konsequent ignoriert bzw. aktiv abgelehnt werden. Da muss man sich schon fragen, was „die Personaler“ eigentlich berechtigt, Personalauswahl zu betreiben? Ich meine, kein Controller bekommt einen Job, wenn er/sie das kleine „1×1“ nicht kann. Aber offensichtlich gibt es jede Menge Personaler, die das kleine „1×1“ der Personalauswahl nicht beherrschen. Aber ich will hier nicht schelten, alles halb so wild. Irgendwie passt es ja meistens. Hauptsache sympathisch. Wobei … eine wissenschaftliche Erkenntnis für die Personalauswahl wäre schon spannend … so im Hinblick auf die Digitalisierung. Wie wäre es mit mehr Details?

Personalauswahl – was HR wichtig ist

Dass ich eine eigene und durchaus eher schlechte Meinung über unsere gängige Personalauswahlpraxis habe, dürfte regelmässigen Lesern bekannt sein. Und ich freue mich durchaus, dass mein Vortrag zum Thema Personalauswahl am ZWW der Uni Augsburg 2015 auf youtube immer mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Sie müssen sich den jetzt nicht anhören. Ich habe für diesen Artikel alternativ ein paar bunte Bilder (keine Katzen, sorry) und „harte“ Fakten (die mögen die meisten Personaler, habe ich gelernt) aus zwei Umfragen. Und ich habe Wissen von einem der renommiertesten Eignungsdiagnostiker für Sie. Also, fangen wir mit den bunten Bildern an.

Die BertelsmannStiftung hat wieder einen wichtigen Job gemacht. Sie zeigt in einer neuen Studie auf, wie wichtig informelles Lernen in der Zukunft wird – und wie schwer es ist, dieses Wissen aus dem informellen Lernen in Form von Zeugnissen zu belegen. Am wichtigsten ist den Personalern aber immer noch die Berufserfahrung des Bewerbers. Und was der neue Mitarbeiter wirklich kann, lässt sich eh erst in der Probezeit feststellen (Probezeit ist also das Top Auswahlinstrument). Der Meinung bin ich übrigens auch! Etwas mulmig wird mir, wenn wir uns anschauen, mit welchem Kriterium die Personaler herausfinden, ob jemand überhaupt die Chance auf eine Probezeit bekommt. Halten Sie sich fest: Das zweitwichtigste Kriterium sind die Personalauswahlgespräche! Überraschung? Nee, nicht wirklich, oder?

(weitere Zusammenfassungen der Studie finden Sie übrigens hier auf welt.de oder hier bei XING. Die komplette Studie zum Download gibt es hier.)

Personalauswahl – jetzt wird es menschlich

Jetzt schäme ich mich fast als bekennender Chaot darauf hinzuweisen, dass ein Personalauswahlgespräch ja kein Kriterium ist … sondern ein Instrument. Aber ich will es ja auch nicht zu genau machen, schon gut. Und da wir ja alle wissen, wie solche Gespräche ablaufen, wissen wir, was gemeint ist. Es geht um die persönliche Passung. Ich nutze ein persönliches Gespräch, um abzuklopfen:

1) Kann der Mensch mir gegenüber das, was er behauptet zu können? Das lässt sich durch Arbeitsproben oder eben Fragen herausfinden („Was haben Sie in Station X genau gemacht? Wie haben Sie das gemacht? Waren Sie schon mal in der Situation, dass …? Wie haben Sie diese Situation gelöst? etc.).

2) Und was ist noch ganz wichtig? Richtig: Der Nasenfaktor!  Der Bewerber muss nicht nur den Job können, er muss auch noch mir sympathisch sein oder zumindest muss ich mir vorstellen können, mit ihm im Team zu arbeiten.

Ergänzend zur Bertelsmann Studie möchte ich eine andere, zugegebenermaßen recht kleine Studie anschauen. Um herauszufinden, was Personalern im Recruitingprozess wichtig ist, hat die Unternehmensberatung entero AG als Partner des ATS Anbieters Connexys diese Studie durchgeführt. Eine Frage war, welche Kriterien Personalern bei der Personalauswahl besonders wichtig sind. (falls Sie auch noch an der weiterlaufenden Studie teilnehmen und alle Studienergebnisse exklusiv erhalten wollen, hier geht es zur Umfrage)

Und siehe da: Praktische Erfahrung, soziale Kompetenz und Ausbildungsberuf/Studium sind den hier befragten Personalern am Wichtigsten. Das deckt sich ja mit der Bertelsmann Studie.Interessant ist, dass „Privates Engagement“ quasi keine Rolle spielt. Komisch, oder? Sollte man nicht meinen, dass das Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr, der Kirchengemeinde oder im Chor auf eine gewisse Soziale Kompetenz hindeutet? Muss nicht, ist aber auch nicht sehr unwahrscheinlich.

Halten wir also fest: Das wichtigste Auswahlinstrument ist das Personalauswahlgespräch. Zu dem in der Regel nur die eingeladen werden, die anhand von Lebenslauf, Anschreiben und Zeugnissen die erste Hürde der Vorauswahl genommen haben. Aber das ist ein anderes Thema. Die Probezeit lasse ich als Auswahlkriterium hier mal nicht gelten, wir wollen ja die Vorauswahl verbessern – und nicht am Ende schauen, ob wir Glück gehabt haben oder nicht.

Personalauswahl – wenn Unwissenheit zur Falle wird

Jetzt ist es ja schön, dass sich alle einig sind, wie sie die Personalauswahl vornehmen. Nur: Wie valide sind diese klassischen Instrumente eigentlich? Was glauben denn die befragten Personaler? Auch dazu eine kleine Grafik:

Ich muss klar sagen, die Studie ist nicht wissenschaftlich erarbeitet und hier werden „Instrumente“ und „Kriterien“ vermischt. Damit würde ich jetzt nicht zu Ihrem Vorstand gehen! Trotzdem können wir m.E. ein paar Erkenntnisse daraus ziehen.

Das Kriterium „persönlicher Eindruck“ muss uns zu Denken geben. Erstens, weil er auch erst wieder zieht, wenn der Bewerber überhaupt zum Gespräch eingeladen wird. Und Zweitens ist uns allen doch klar, wie individuell (und damit völlig zufallsgetrieben) und zutiefst subjektiv der „persönliche Eindruck“ ist. Und auch noch von der Tagesform der handelnden Personen abhängig. Was ich für einen persönlichen Eindruck von jemanden habe, hat doch null Relevanz dazu, ob er/sie den Job kann. Aber wir wissen alle, dass dieser Faktor trotz extremer Subjektivität eine riesengroße Rolle spielt. Das ist bei mir nicht anders. Und zum Ausgleich sind uns die Verzerrungsfaktoren und -effekte hoffentlich alle bekannt.

Wirklich bitter ist aberwie die Personaler die Validität von Intelligenztests beurteilen. Aus Sicht der Praktiker sind Intelligenztests so gut wie nicht valide. Und das ist ein ganz ganz großer Irrtum. Denn wenn es EIN Kriterium gibt, das seit Jahrzehnten wissenschaftlich fundiert als valides Auswahlkriterium gilt, dann ist es der Intelligenztest!! Aber was sagen die Personaler: „Überhaupt nicht valide“! Und stellen sich damit ein echtes Armutszeugnis aus.

Personalauswahl – warum Intelligenz alles andere schlägt

Wissen Sie, es ist ok für mich, wenn Sie sagen: „Zaborowski, ich finde es diskriminierend, Bewerber anhand ihrer Intelligenz auszuwählen“. Das ist ok! (aber den Einser Kandidat nehmen Sie lieber als den mit der „vier gewinnt“, oder?). Es ist ok, wenn Sie Intelligenz nicht als Kriterium nehmen WOLLEN. Aber zu behaupten, er ist nicht relevant, ist ein Armutszeugnis.

Intelligenztest können übrigens in Zukunft DER Schlüssel für die Personalauswahl werden. Stichwort Digitaliserung und so. Denn jetzt lassen wir uns mal von niemand geringeren als Professor Dr. Heinz Schuler zu Wort kommen. Hier ein paar Zitate aus seinem Buch „Psychologische Personalauswahl“ (4. Auflage, 2014, Hogrefe Verlag)

„Unter allen allgemeinen Personenmerkmalen konnten für kognitive Fähigkeiten … die deutlichsten Nachweise für verlässliche Zusammenhänge mit dem Berufserfolg erbracht werden“

Jetzt, Achtung, Stichwort Digitalisierung:

„Erwartungsgemäß hat sich gezeigt, dass die Bedeutung kognitiver Fähigkeiten proportional der Komplexität der Tätigkeit ist und umgekehrt proportional dem Anteil manueller Verrichtungen“ (alles Seite 82)

Fazit:

„Die Entdeckung der hohen generellen Erfolgsrelevanz der Intelligenz wurde mittlerweile so viele Male bestätigt, dass sie zum verlässlichsten Wissensbestand der angewandten Psychologie gehört“ (Seite 83) und „Vermutlich ist die Behauptung nicht übertrieben, dass für alle Gebiete, auf denen jemand hervortritt, Intelligenz zu den wichtigsten Erfolgsdeterminanten gehört“ (Seite 84).

Jetzt ließe sich noch ganz ganz viel zu dem Thema Intelligenz schreiben. Aber sicherlich nicht in diesem blogartikel. Dafür ist das Thema zu umfangreich. Ich empfehle Ihnen unbedingt einen Blick in das oben zitierte Buch von Prof. Schuler. Wenn das Thema Intelligenztest Sie jetzt doch etwas mehr interessiert, Prof. Dr. Hossiep von der Uni Bochum hat mit seinem Team einige Tests entwickelt. U.a. den BOMAT Test. Oder schauen Sie mal bei der Testzentrale des Hogrefe Verlags vorbei. Da finden Sie ausschließlich wissenschaftlich fundierte Tests für verschiedene Anwendungsfälle, auch die von Prof. Hossiep.

Ich möchte Ihnen eine Sache ans Herz legen, insbesondere, wenn Sie kluge Köpfe für die Herausforderung der Digitalisierung suchen: Beschäftigen Sie sich mit Intelligenztest in der Personalauswahl!!! Und zwar in der Vorauswahl! Wenn sich alles verändert und aktuelles Wissen schneller veraltet, starre Lösungswege nicht mehr funktionieren und Antworten auf Fragen gesucht werden, die sich vorher noch niemand gestellt hat, wenn also die Komplexität zunimmt – dann ist Intelligenz das Letzte, das Sie vernachlässigen dürfen! Und Intelligenz zeigt sich nicht zwingend an guten Noten! Schauen Sie sich Albert Einstein an. Nicht zwingend an einem 1A Werdegang! Und auch nicht zwingend an vergangenen, wie auch immer erzielten Erfolgen! Aber Intelligenz (in ihren verschiedenen Ausprägungen) lässt sich messen! Sie wollen doch immer alles messen! Also, fangen wir an!

Ich habe kein Antwort darauf, wie intelligent jemand mindestens sein muss, um Job x gut zu meistern. Aber wir müssen uns endlich den validen Auswahlkriterien zuwenden! Und den Schwachsinn von der „perfekten Bewerbung“ vergessen! Holen Sie sich einen Dr. Hossiep oder andere Eignungsdiagnostiker ins Boot. Fangen Sie an. Sammeln Sie Erfahrungen. Erfahrungen sind übrigens ein gute Stichwort. Ganz kleiner Nebenverweis: Markus Väth hat einen klugen Artikel darüber geschrieben, warum wir ein Mindestalter für Recruiter brauchen. Bei der Personalauswahl spielt nämlich Lebenserfahrung eine große Rolle. Vorausgesetzt, sie ist auch tatsächlich vorhanden. Alter allein macht nicht weise …

Ich komme zum Schluss 😉 Natürlich muss Ihnen bzw. dem Fachbereich am Ende ein Bewerber auch sympathisch sein. Aber was nützen Ihnen im Zweifel die nettesten Kollegen, wenn sie kein schwieriges Problem gelöst bekommen? Eben, gar nichts.

In diesem Sinne – herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski