Gehe ich zu weit, wenn ich den „gemeinen Recruiter“ als reinen Erfüllungsgehilfen zur Lustbefriedigung vieler Hiring Manager bezeichne? Ich bin mir nicht sicher. Überlegen Sie doch mal mit.

Anstoß für diese Gedanken war ein Artikel über, natürlich, den „War for Talents“, und darüber, dass HR sich proaktiver im Unternehmen positionieren muss. Der hier befragte Experte, Prof. Beck, hat mit seinen Ausführungen sicherlich Recht. Ich bin jedoch immer wieder erstaunt, dass wir anscheinend immer noch  auf die durchaus schon etwas älteren Grundlagen eines proaktiven „2.0 Recruiters“ als Voraussetzung für erfolgreiches Recruiting in unserem Zeitalter hingewiesen werden (müssen?). Leider hat Prof. Beck auch Recht mit der Einschätzung der größten Fehler der Unternehmen im Recruiting. Aber gehen wir doch mal ans Eingemachte. Warum kämpfen eigentlich immer noch so viele Personalabteilungen um Anerkennung. Und bekommen empfohlen, wie von Prof. Beck, sich aktiv als Wertschöpfer zu positionieren? Zumindest für die Recruitingaufgabe kann ich das Rätsel lösen. Es ist ganz einfach: Recruiting hat in der Personalabteilung nichts zu suchen!

Wie komme ich darauf? Ich versuche es mit einem einfachen Bild in Anlehnung an den vielzitierten „War for Talents“. Stellen Sie sich vor, Sie sind Oberbefehlshaber einer Armee, die sich im Krieg befindet. Meinetwegen General. Als General treffen Sie alle Entscheidungen, die über das Schicksal Ihrer Truppen, über Sieg oder Niederlage entscheiden. Darum ist das Wichtigste, was Sie brauchen, die richtigen Informationen zur richtigen Zeit. Sie müssen immer wissen, was wo passiert. Was der „Feind“ macht, in welchem Zustand Ihre Truppen sind etc. Wie bekommen Sie die Informationen? Entweder, Sie sind selber direkt an der Front, um sofort auf sich ändernde Situationen reagieren zu können. Das ist gefährlich, aber kann durchaus kriegsentscheidend sein.

Oder: Sie sind irgendwo „in Sicherheit“ und werden über Informanten regelmäßig über Veränderungen an der Front informiert. Wenn das der Fall ist, was muss sichergestellt sein, damit Sie richtig entscheiden können? Sie müssen ihrem Informanten  vor allem Dingen 100% vertrauen und er muss die Gegebenheiten vor Ort exakt kennen und die richtigen Schlüsse ziehen können, um Sie als General die richtigen Informationen zu übermitteln.

Jetzt übertragen Sie das mal ins Recruiting: Der General ist der Hiring Manager. Der, der entscheidet, wen er warum unter welchen Bedingungen einstellt. Der Recruiter ist der Informant, der den Bewerbermarkt (hoffentlich) ganz genau kennt und Veränderungen einschätzen kann. Jetzt zeigen Sie mir bitte, gerade in größeren Unternehmen und Konzernen, einen Hiring Manager, der seinem Recruiter 100% vertraut! Sehen Sie, das wird schwer, oder? Ich habe zumindest in meinen 12 Jahren als Personalberater nur eine Minderheit solcher Hiring Manager kennengelernt. Ob zu Recht oder Unrecht, sei dahingestellt.

Die Hiring Manager begeben sich aber auch nicht selber „an die Front“, weil sie mit ihrem Tagesgeschäft genug zu tun haben (ob zu Recht oder Unrecht, sei hier ebenfalls dahingestellt). Und weil die Recruitingfront viel zu viel Arbeit macht. Das macht keinen Spaß und bringt keine Lust. Lust bringt es, keine Arbeit mit der Bewerberbeschaffung zu haben und am Ende auf den Recruiter zu schimpfen. Schließlich ist die Stelle immer noch nicht besetzt. Und ein Reportingtool, das dem Vorstand zeigt, dass der Hiring Manager das Problem ist, gibt es im Unternehmen natürlich auch nicht.

Jetzt sind ja nicht alle Hiring Manager dumme Menschen oder Tyrannen, nein nein. Sie haben aber ganz menschliche Schwächen. Zum einen haben sie noch ihr Bild „von der Front“ im Kopf, wie sie vor 10 Jahren war. Und das übertragen sie auf die heutige Situation. Oder sie halten sich oder den Job, den sie zu vergeben haben, für so unglaublich toll, dass nur Idioten sich nicht darauf bewerben. Oder der Recruiter halt einfach nichts taugt. Und aus diesen Gründen prallen alle Informationen des Recruiters (des Informanten) an ihnen ab. Erst Recht, wenn es so ein „junges Ding“ (m/w) ist, mit einem Abschluss in Pädagogik oder Sozialwissenschaften. Die kennen doch die Welt nicht. Informationen wie „Sie müssen die Stelle höher dotieren“, „Sie müssen die Erwartungen runterschrauben“, „Sie müssen einen anderen Standort möglich machen“, „Es fehlen Entwicklungsperspektiven“, „Sie sollten einfach ein wenig netter sein“, „Sie sollten Termine schneller anbieten und auch einhalten“ etc. Alles Quatsch, das weiß man doch.

Wenn Sie sich jetzt noch anschauen, wie die meisten Recruiter wiederum Recrutingdienstleister auswählen und mit ihnen umgehen, dann spätestens wissen Sie, dass in diesem „Krieg“ niemand irgendjemandem wirklich traut.

Was ist die Lösung? Sie schicken die Hiring Manager selber an die Front. Recruiting ist für jeden Hiring Manager so „kriegsentscheidend“, da muss er selber aktiv werden. Oder Sie werden ein Recruiter, dessen Kompetenz und dessen Wort aufgrund von Leistung und Erfahrung nicht in Frage stehen. Das wird aber als Angehöriger der Personalabteilung schwer. Und selbst dann bleiben Sie nichts anderes als ein Informant. Oder haben Sie schon mal über den Kopf des Hiring Managers entschieden, welcher Bewerber für die Stelle genommen wird? Sehen Sie.

Beste Grüße,

Ihr Henrik Zaborowski