#newwork, #FutureofWork, #workinprogress … #irgendwas, egal! Hauptsache, das Kind hat einen Namen. Die Arbeitswelt verändert sich. Sagen manche. „Hier ist es wie seit 30 Jahren“, sagen die anderen. Ist die Beschäftigung mit der Veränderung der Arbeitswelt eine brotlose Kunst oder absolute Notwendigkeit? Hängt davon ab, wen Sie fragen. Und damit meine ich nicht die Berater, die damit Geld verdienen wollen. Nun, ich bin der festen Überzeugung, bei dem Thema geht es nicht (nur) darum, dass alle sich bei der Arbeit wohlfühlen und selbstbestimmt arbeiten können (wer ist schon wirklich selbstbestimmt?). Es geht um echte Existenzen. Es wissen nur bisher die wenigsten …
#newwork mit „Work in Progress“ von XING
Vom 12.-14. März fand der „Work in Progress“ Event in Hamburg statt. Volles Haus, möchte ich sagen. Und volles Programm. Ich war nur am Freitag dort und wie immer gab es spannende und weniger spannende Vorträge und Themen. Spaß gemacht hat die Podiumsdiskussion mit Christian Beinke von darkhorse, deren Buch „Thank God it’s Monday“ ich schon mal empfohlen habe. Ein Traum, wie die darüber schreiben, wie sie selber versuchen, bessere Formen der Zusammenarbeit zu finden. Umantis war da, die zusammen mit einem der Gründer von oose Informatik, Bernd Oestereich, über ihre Art der Unternehmensorganisation berichteten. Und auch die Schwierigkeiten in der Umsetzung. Zum Teil hatte ich in dem oben verlinkten Artikel schon drüber berichtet. Sehr cool fand ich die Antwort von Bernd Oestereich von oose auf die Frage, welchen Typ Mitarbeiter man denn für so eine soziokratische Organisationsform bräuchte. Moment? Soziokratisch?? HÄ?
Antwort: Ganz normale Menschen. Also keine „hippen“ oder „expliziten Querdenker“ oder sonst was. Die Mitarbeiter führen die Einstellungsgespräche selber. Wichtig ist, dass es menschlich passt. Und dass die Neuen vorher wissen, worauf sie sich einlassen. Das wäre ja ein Beleg dafür, dass die meisten von uns mit neuen Organisationsformen klar kämen. „Hoffnung“!
Irgendwie lustig war auch der Vortrag von Uwe Lübbermann von Premium Cola. Der Mann hat über 1600 Vertragspartner (Getränkehändler, Spediteure, Lieferanten, Gastro …) – und alles ohne Verträge! Wozu Verträge? Entweder ich vertraue meinem Partner oder nicht. Und was ist, wenn sich Rahmenbedingungen ändern, durch die die vertraglich vereinbarten Bedingungen für einen der Vertragspartner nachteilig wirken? Hat der dann Pech gehabt? Unser Wirtschaftssystem würde sagen: Ja, so ist das halt. … sagt: Nein, warum muss das so sein? Dann finden wir eben neue Regelungen, die unter den neuen Bedingungen für beide Seiten zufriedenstellend sind. Jeder Partner in der gesamten Lieferkette weiß übrigens, was er und alle anderen an einer Flasche „verdient“. Das nenne ich Transparenz.
Oder lassen wir Premium doch mal selbst zu Worte kommen: (Quelle eigene homepage)
„Premium ist eine kleine Getränkemarke ohne Büro, die seit über 13 Jahren existiert und vieles bewusster regelt als die „normale“ Wirtschaft. Das Projekt wird von einem Internet-Kollektiv nach dem Prinzip der Konsensdemokratie gesteuert und bis in Details wie z.B. „Anti-Mengenrabatte“, „feste Umsatzanteile in die Alkoholismusvorsorge“ oder „veganer Etikettenleim“ optimiert – und bis zum freien Premium-Betriebssystem entwickelt.“
Seit 13 Jahren arbeitet der Mann so! Ganz schön alte „newwork“, oder? Wenn ich Ihnen jetzt noch schreibe, dass Premium Cola keine Gewinne erzielen, sondern nur die Kosten decken will … ich weiß, verrückt! Aber es funktioniert. Hammer! Gut, Lübbermann hat acht Jahre lang kein Geld verdient. Das muss man sich auch erstmal leisten wollen. Und reich wird er damit auch nicht. Will er aber auch gar nicht! Das führt auch dazu, dass er Aufträge ablehnt. Weil sie z. B. zu groß sind. Dann müsste er ja in etwas investieren von dem er nicht weiß, ob es Bestand hat. Also z. B. mit Investitionen die Produktion ausweiten. Und was, wenn der Kunde dann nur einmal so eine große Menge abnimmt? Dann hat er unnötig Schulden gemacht. Ach so, wenn dem Getränkehändler vor Ort eine Kiste kaputtgeht, übernimmt Premium Cola einen Teil der Kosten. Warum? Warum nicht? Wir schütteln den Kopf, aber es funktioniert.
Ich könnte noch viel mehr schreiben, aber am besten schauen Sie mal auf Twitter unter #wiphh und #wip15. Und Lars Hahn hat einen schönen Artikel zum Vortrag von Jeremy Rifkin verfasst. Eine super Zusammenfassung (wie kann es anders sein) kommt auch von Svenja Hofert, in der auch die (zu Recht) kritischen Töne nicht fehlen. Leseempfehlung für alle, die #newwork auch gesellschaftlich relevant sehen. Und andere Beispiele für Unternehmen, die heute schon auf andere Organisationsformen achten, finden Sie u.a. bei dem Projekt Augenhöhe. Oder bei feelgood@work, z. B. beim Unternehmen elbdudler.
#newwork – schon seit 2002
Wussten Sie, dass „newwork“ gar nicht „neu“ sein muss?
Premium Cola praktiziert sein Geschäftsmodell schon seit 13 Jahren. Und die Firma Weidmüller hatte auch schon zur Jahrtausendwende erkannt, das was passieren muss. Sie kennen Weidmüller nicht? Na, kein Wunder. Ist mal wieder so ein „hidden champion vom Lande“ mit 4.600 Mitarbeitern und Aktivitäten in über 80 Ländern. Oder wie das Unternehmen auf seiner homepage selber über sich schreibt: „Weidmüller – unser Name steht seit über 160 Jahren für Leistung, Kompetenz und Zuverlässigkeit auf den Gebieten Maschinenbau, Prozessindustrie, Gerätehersteller, Energiesektor und Verkehrstechnik.“
Vor einigen Tagen hatte ich ein Telefonat mit Dr. Niggemann von der Firma Weidmüller. Dr. Niggemann ist Naturwissenschaftler (Physik & Chemie) und hat 7 Jahre Batterien entwickelt, bevor er zu Weidmüller als Leiter Werkzeugbau kam. Und in dieser Position merkte er im Jahr 2003 auf einmal: Wir habe keine Ahnung von Technologien der Zukunft! Und selbst wenn wir das Wissen hätten, wie kriegen wir es in die Organisation? Das war der Auslöser für den Start einer eigenen Akademie. Viele würden sagen: Ein HR Thema. Aber in der Praxis klar getrieben von den Fachbereichen. DIE haben die Not. HR übernimmt dann später die Koordination. Diese Einschätzung teilt zumindest auch Dr. Härtel, Managing Director bei GE Global Research. Aber dazu mehr in einem anderen Artikel. Zurück zu Weidmüller.
Da erkennt jemand Anfang 2002 „Wir müssen was für die Zukunft tun“. Und das Konzept, das Dr. Niggemann damals für das Management schrieb, ist in den Inhalten immer noch identisch mit dem, was er heute schreiben würde. Soviel zum Thema „newwork“ … Egal, also, was macht Weidmüller und warum? Weidmüller bündelt in seiner Akademie die Themen Bildung, Nachwuchssicherung und Vernetzung. Vernetzung ist ja eines meiner Lieblingswörter, wissen Sie doch. Darauf springe ich immer an. Welche Initiativen oder Netzwerke gibt es, in denen sich Weidmüller engagieren sollte? Immer mit dem Blick auf die nächsten 3-5 Jahre. Und wie bekomme ich bestehendes und neues Produktwissen in die Köpfe von Mitarbeitern und Kunden! Die übrigens auch ein hervorragender Partner für die Produktverbesserung sind. Genauso wie Lieferanten und Technologiepartner.
Und auch (Weiter)Bildung kann ganz praktischen Nutzen haben. Mit einer eigenen „Schülerakademie“ werden jedes Jahr rund 2000 Schüler für Technik begeistert. Von Schulveranstaltung bis zu mehrtägigen Praktika. Außerdem vermittelt Weidmüller in der dualen Ausbildung 140 Azubis zusätzlich Methoden- und Sozialkompetenz.
Durch die Betreuung ausgewählter Hochschulen (bitte nicht mit Hochschulmarketing verwechseln) ist Weidmüller nicht nur eng an den Technologien dran, mit denen sich dort beschäftigt wird. Sondern das Unternehmen holt sich jedes Jahr auch noch 80 Studenten für Praktika und 40 für Abschlussarbeiten rein. Und damit vor allem deren Wissen und Kompetenzen. Denn was ein Fachbereich aufgrund vom Tagesgeschäft nicht leisten kann, kann ein Student sehr wohl: Sich mit neuen Themen beschäftigen und diese, wo relevant, für die Fachbereiche aufbereiten. Denn Praktikanten bekommen auch immer Sonderaufgaben, die das Praktikum extra interessant machen.
Viel Aufwand, oder? Da stellen sich mir doch gleich mehrere Fragen: Warum machen die das? Und was bringt es?
Warum? Dr. Niggemann hat die wirtschaftlich elementare Frage gestellt: Wie schaffen wir es, als weltweit aktives KMU technologisch immer vorne mit dabei zu sein? Die kommenden Herausforderungen durch den Demographischen Wandel, die Industrie 4.0 und die Komplexität durch die Globalisierung deuteten sich ja schon vor 10 Jahren an. Genauso wie die Veränderung der Wertegesellschaft bei den jungen Leuten! Es gilt alt und jung zusammen zu bringen. Die Strategie war schnell klar: Die Innovationskraft in Deutschland stärken, denn im Premiumsegment etabliert man sich nur durch Innovationen. Und wie schafft man Innovationen? Durch Bildung. Nicht nur fachlich, sondern auch durch „menschlich & soziale“ Bildung. Wie Erik Haendler schon bemerkte: Wir befinden uns im 6. Kondratieff! Die Fähigkeit, mit „anderen“ (Nationalitäten, Disziplinen, Alter, „Typen“) zusammen zu arbeiten, wird eine Schlüsselkompetenz der zukünftigen Arbeitswelt!
Tja, und jetzt denkt sich ja so ein Idealist wie ich: Klar, wer das alles sieht, der handelt – und fragt nicht nach dem ROI. Oder dem Nutzen. Oder der Notwendigkeit. Aber Sie wissen es besser als ich. Sie wissen: Natürlich kommt die Frage „Und? Was bringt das kurzfristig? Ist das messbar?“ So ging und geht es auch Dr. Niggemann. Die Akzeptanz für die Akademie musste er sich erarbeiten. Und auch heute noch immer wieder den Nutzen / Mehrwert aufzeigen. Nur, wie messbar ist das alles? Weidmüller verfügt über eine sehr geringe Fluktuationsquote und sehr gute Reputation als Arbeitgeber. Für die 80 Praktika und 40 Abschlussarbeiten bekommt Dr. Niggemann über 1000 Bewerber pro Jahr. Das war vor 10 Jahren noch ganz anders. Und vor allem: Vor zehn Jahren musste er intern hausieren gehen. „Kann noch jemanden einen Praktikanten beschäftigen?“ Die Fachbereiche haben eher den Mehraufwand gesehen, weniger den Nutzen. Praktikanten, die den Alltag hinterfragen, sind unbequem. Heute haben viele Fachbereiche gelernt, dass sie vor allem echten Nutzen daraus ziehen. Aber auch immer noch nicht alle.
Komisch, oder? Das, was den Fortbestand eines Unternehmens sichert – die Weiterbildung und Vernetzung der Mitarbeiter – muss immer wieder gerechtfertigt werden. Ganz ehrlich? Meines Erachtens haben die wenigsten Manager die Notwendigkeit von Weiterbildung ihrer Mitarbeiter bisher erkannt. Darum diese Diskussionen.
Aber was soll’s? Arbeiten wir weiter dran, das zu ändern. Z. B. durch so einen tollen Event von GE Global Research zur „Future of Work“ im Rahmen der GE Garages 2015 in Berlin. Aber darüber berichte ich Ihnen in einem anderen Artikel.
Also, vernetzen Sie sich – das macht übrigens auch richtig Spaß, wie Sie hier sehen können 🙂
Herzlichen Gruß,
Ihr Henrik Zaborowski