„HR kann jeder“. Sex auch! Warum sollte ich also nicht mal diese Gemeinsamkeit nutzen, um über den fest etablierten Glauben aufzuklären, dass ein nachhaltiger Recruitingerfolg durch One-Night-Stands erreicht wird. Keine Angst, es wird nicht schlüpfrig…
Recruiting – über das Paarungsverhalten verklemmter Recruiter
Ich hatte in meinem Artikel „Die Zukunft des Recruitings“ schon darauf hingewiesen, dass ein Schlüssel zum Recruitingerfolg in der Zukunft das Engagement der Hiring Manager ist – nicht der Recruiter. Über die Rolle des Recruiters hat Markus Reif übrigens einen sehr zutreffenden und interessanten Artikel verfasst, den ich unbedingt weiterempfehle!
Aber zurück zur Verbindung Recruiting & Sex. Wie komme ich überhaupt darauf? Ich habe schon in meiner Diplomarbeit im Jahr 2000 auf das Phänomen hingewiesen, dass Jobsuche und Stellenbesetzung ein einziges Schauspiel sind. In Zeiten der Wirtschaftskrisen mit ganz vielen Statisten – den Jobsuchern. Die Hiring Manager & Recruiter sind in dem Fall die Regisseure, die entscheiden, wie das Stück gespielt wird (z. B. wie ein Lebenslauf auszusehen hat, was in einer Bewerbung erlaubt ist und was nicht etc.). Interessant war/ist immer die gezeigte Wertigkeit im Recruitingprozess. Da übernehmen junge, unerfahrene Personalreferenten (oder auch Praktikanten, Assistenten etc.) die Vorauswahl nach vorgegebenen Kriterien, Eselsohren (gibt’s heute ja nicht mehr, ich weiß) und Tippfehler sind Indikatoren für Kompetenz und überhaupt erfolgt der Auswahlprozess in wenigen Minuten.
Im Gespräch darf der Bewerber wenig falsches sagen, am besten die Buzzwords des Hiring Managers bedienen und nicht zu unsicher, aber auch nicht zu selbstbewusst sein. Er muss eine Rolle spielen. Die Unternehmensvertreter machen das natürlich auch. „Wir sind die Schönsten, Besten, Tollsten“. In Krisenzeiten mit der Haltung „sei froh wenn wir dich nehmen“, im Moment und in den kommenden Zeiten knapper Ressourcen mit dem Ansatz „Wir wissen, dass wir dich bei dir, lieber Bewerber, bewerben (diese Erkenntnis ist gerade in und wird gerne betont). Aber die Schönsten, Besten, Tollsten sind wir trotzdem“. Liest sich verklemmt? Genau. Ich könnte auch fragen: Wie viele entspannte, natürliche Bewerbungsgespräche haben Sie schon erlebt? Darum wird es auch Zeit, dass wir Abschied von der Bewerbungsshow nehmen.
Recruiting – One-Night-Stand oder den Bund fürs Leben?
Jetzt könnten wir ja sagen „Halt, das gibt es doch alles gar nicht mehr! Die Unternehmen haben doch längst erkannt, dass sie sich ändern müssen.“ Aber stimmt das? Nein! Auch wenn die Unternehmen sich immer stärker um ein tolles Employer Branding bemühen und sich im Social Net tummeln – die internen Prozesse und das Recruitingverständnis sind immer noch die von vor 20 Jahren. Daran ändert selbst eine Prozessoptimierung im Rahmen einer E-Recruitingsoftware-Einführung wenig. „Nach außen hui, nach innen pfui“ wäre die Formulierung meiner Oma an dieser Stelle. Und wenn Sie mir wirklich nicht glauben (wollen), dann schauen Sie sich doch mal die Auswahl und den Umgang der Unternehmen mit Personaldienstleistern an (die dann der erste Kontakt zur Zielgruppe sind). Das spricht für sich.
Und damit kommen wir zum Sex. Würden Sie sagen, es macht einen Unterschied, ob ich auf der Suche nach einem Partner fürs Leben oder nach einem One-Night-Stand bin? Ich hoffe doch! In beiden Fällen wollen Sie sich erst einmal von Ihrer besten Seiten präsentieren. Sie müssen ja Aufmerksamkeit erregen. Aber wenn das geschafft ist und Sie einen Partner fürs Leben suchen, geht es Ihnen vielmehr darum, die inneren Werte, die Persönlichkeit, die Macken und Stärken Ihres Gegenübers zu entdecken. Und Ihre eigenen Stück für Stück zu zeigen um festzustellen „liebt sie/er mich auch, wenn sie/er mich besser kennt?“ Und je besser sie sich kennen und lieben lernen, umso weniger stört es Sie, wenn Ihr potentieller Partner doch nicht die Traumfigur oder eine Zahnlücke oder leicht stottert. Und Sie dürfen auch ruhig die eine oder andere Schwäche offenbaren. Ehrlichkeit schafft Vertrauen.
Anders ist es beim One-Night-Stand. Ich gebe zu, ich schreibe jetzt als Theoretiker … Hier geht es nur um ein kurzfristiges Vergnügen. Beide Seiten sind sich einig, dass innere Werte und Überzeugungen für diese Aktion / diesen Moment keine große Rolle spielen. Es geht um die kurzfristige Lustbefriedigung (ohne spätere Verpflichtungen, also bitte an die Verhütung denken). Darum sind auch die äußeren, sichtbaren Attribute so wichtig. Oder der Alkoholspiegel. Naja, und dann gilt ja eh: Sex kann jeder. Irgendwie. Also warum sich zulange mit der Auswahl aufhalten. Das passt schon.
Und jetzt frage ich Sie: Was suchen die Unternehmen eigentlich, wenn sie jemanden einstellen? Was langfristiges, oder? Und welche Verhaltensweise herrscht in der Recruitingpraxis der meisten Unternehmen vor? Wenn ich nicht völlig daneben liegen (unwahrscheinlich!) und diversen Publikationen zum Thema Recruiting folge, dann, in meinen Worten, die des One-Night-Stands.
Recruiting – selber machen oder nur an die Besten delegieren
Was heißt das für die Unternehmen? Ich kann es nur immer wieder betonen: Um erfolgreich zu rekrutieren, müssen wir vor allem unseren mindset ändern. Würden Sie die Suche Ihres Lebenspartners an irgendwelche Personen delegieren, von denen Sie noch nicht einmal wissen, wie gut sie den Job können und ob sie Ihre Vorlieben und Macken kennen? Nein! Wenn Sie das delegieren, weil Sie sich vielleicht für zu schüchtern halten, keine Zeit haben oder hässlich wie die Nacht sind, dann am ehesten noch an Ihren besten Freund / Freundin, der/die Sie wie ihre Westentasche kennt. Und der/die Sie bestens vertreten kann. Aber wenn der erste Schritt getan ist, dann werden doch wohl Sie das Ruder übernehmen, oder? Und sich höchstens noch ein wenig coachen lassen. Aber Entscheider und treibende Kraft in allen weiteren Schritten des Prozesses sind Sie.
Und, wenn Sie auch nur durchschnittliche menschliche Regungen haben, werden Sie diesem Werbungsprozess alles andere unterordnen. Und wenn das mal nicht geht und die böse Welt es verlangt, dass Sie ein Rendezvous-Termin doch nicht wahrnehmen können, dann werden Sie persönlich alles in Bewegung setzen, dass Ihr Traumpartner in spe das auf keinen Fall als Geringschätzung empfindet. Sie werden sich persönlich darum kümmern, wieder „alles ins Lot“ zu bringen. Und das nicht Ihrer Sekretärin oder dem Personaler im Shared Service Center überlassen. Oder?
Solange das operative Recruiting (denn darauf kommt es im echten Leben an) in den Unternehmen noch so gelebt wie ein One-Night-Stand gesucht wird, solange werden die Unternehmen je länger je mehr ein echtes Problem haben. Wirklich perfekt wird es nie werden. Sind das echte Leben und die wahre große Liebe ja leider auch nicht. Aber das gehört nun wirklich nicht hier her.