© Martina Berg - Fotolia.com

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Mitarbeiterbindung – hat ein Wort als Wort noch eine Berechtigung, wenn es seinen Inhalt (bald) nicht mehr gibt? Was weiß Coldplay über die Neue Arbeitswelt? Professor Dr. Peter Kruse erklärt die Generation Y – und ich hatte eine Erscheinung. Das ist alles ein bißchen viel für einen Artikel. Aber ich versuche es mal. Vielleicht mache ich eine kleine Reihe draus? Darum jetzt „der Reihe nach“.

Mitarbeiterbindung – und die prophetischen Worte von Coldplay

Letzte Woche hatte ich Nachts um 1 Uhr ein Erscheinung. Ich kam von einer langen Reise nach Hause, war 16 Stunden unterwegs gewesen, Zug verpasst, musste einen Umweg machen etc. Müde und hungrig stieg um 1.13 Uhr aus der S-Bahn und betrat den trostlosen S-Bahnhof Bergisch Gladbachs. Der Regen nieselte seine Einsamkeit säuselnd auf meine Jacke, die bleiernde Stille der Welt wurde nur unterbrochem vom melodischen Tuckern der verlassen wartenden Taxi-Dieselmotoren. Coldplay’s Album „X&Y“ auf den Ohren trat ich meinen letzten Fußweg an. War es die Melancholie der Ankunft oder doch einfach nur die Müdigkeit? Ich weiß es nicht. Auf einmal unterbrach die klare Stimme Chris Martins mit „What if“ die Stille und ließ mich zusammenzucken. War es das Unerwartete oder doch die Transzendenz des Augenblicks – auf einmal wusste ich, dieses Lied wird die Hymne zukünftiger Arbeitgebergenerationen. Vor meinem geisten Auge sah ich Scharen von Führungskräften, die am Straßenrand knieten und bettelnd den vorbeieilenden Arbeitnehmern mit „What if“ zuriefen: „Lass es uns noch einmal versuchen. Nimm noch einen Atemzug, überleg noch mal: Willst du mich wirklich verlassen? Ich weiß, ich habe viele Fehler gemacht. Aber lass es uns noch einmal versuchen. Gib mir noch eine Chance“.

Eine heitere Stille überkam mich und ich schritt frohen Mutes meines Weges. Die Frage, die sich mir im Nachhinein stellt: Was hat Coldplay geraucht, als sie dieses Liedes komponierten? Wie konnten sie damals schon diese prophetische Weisheit zu Tönen bringen? (Oder hätte ich einfach das alte Wurstbrötchen doch nicht mehr essen sollen?) Wird das die Neue Arbeitswelt? Oder schieße ich damit über das Ziel hinaus? Vielleicht helfen die nächsten Gedanken weiter.

Mitarbeiterbindung – von der Generation Y noch gewollt und gesucht? Oder ein alter Hut?

Gestern war ich auf der Zukunft Personal 2013 und lauschte, wie Massen mit mir, dem Vortrag des eloquenten und „immer eine Stunde wert“ Professor Dr. Peter Kruse zur Zukunft der Führung. Ich hatte damals in meiner Zeit in Bremen mal das Vergnügen, mir von einem seiner Mitarbeiter seine Forschungsideen und ungewöhnlichen Interviewtechniken und die dazu gehörende, komplexe Software erklären zu lassen. Leider verstand ich damals schon fast genauso viel (oder wenig) wie gestern, als er diese nochmal erklärte. Aber egal. Die Ergebnisse waren spannend. Er hatte nämlich die Generation Y (da ist sie wieder) und erfahrene Führungskräfte nach ihrer Vorstellung von Führung befragt. Dass beide Generationen unterschiedlich ticken, verwundert nicht. Aber dass die Generation Y sich uneins ist, das, ja was? Das war eigentlich nicht überraschend für alle, die mit dieser Generation zu tun haben. Aber im medialen Konzert stereotyper Verallgemeinerungen sind Kruses Ergebnisse die Querflöte, die im falschen Moment zu einem schrillen Solo ansetzt und den Zauber der gefühlten Leichtigkeit zerreißt.

Denn Kruse hat entdeckt (was er vorher auch kaum glauben konnte): Diese Generation Y ist in zwei komplett gegensätzliche Lager gespalten. Und so etwas gab es in dieser Klarheit in den Generationen vorher noch nie! Da sind die, die „Autonomie“ suchen. Auch zum Preis von geringerem Gehalt, weniger Sicherheit und ohne Führungsanspruch. Und da sind die, die „Sicherheit“ bevorzugen – und damit den klassischen Karriereweg gehen meinen: Zielgerichtet Karriere machen, professionell, organisiert und mit einem klaren Führungsanspruch. Allerdings gibt es innerhalb dieser „Sicherheitstruppe“ noch zwei verschiedene Muster: Die einen gehen diesen Weg voller Überzeugung der eigenen Stärke. Für die anderen ist es ein immenser Druck, dem sie sich nicht gewachsen sehen. Der Weg der Autonomie kommt für sie aber gar nicht in Frage. Lieber mainstream, in der Hoffnung, es zu packen.

Ich kann diese Ergebnisse nur bestätigen, auch wenn ich es nie so hätte auf den Punkt bringen können. Deswegen, lieber Prof. Dr. Peter Kruse, herzlichen Dank dafür. Aber es ist genauso: Da sind z. B. manche W-Ingenieure vom KIT, die sich null Sorgen über ihre Zukunft machen und die Welt mit ihrer Art umkrempeln wollen. Autonomie. Und da sind z. B. manche BWL’er aus Mannheim, die jetzt schon klar die Weichen für die klassische Karriere stellen. Mit dem Ergebnis, dass z. B. ein großer Telekommunikationskonzern für sein Sales-Trainee-Programm hunderte Bewerbungen bekommt, die alle gleich sind. Top Noten, Auslandserfahrung, mehrere Praktika und soziales Engagement.

Und die Ängstlichen in der „Sicherheittruppe“ kenne ich auch. Die fragen mich dann, welches Nebenfach sie denn studieren sollten, um die besten Jobchancen zu haben. Das, liebe Leser, ist die Vielfalt der Generation Y.

Was bedeutet das für die Zukunft der Mitarbeiterbindung? Ja, sie wird weiter eine Rolle spielen. Aber anders als wir denken. Denn jetzt wagen wir mal so richtig den verschwommenen Blick in die trübe Zukunft.

Mitarbeiterbindung – im Jahre 2025

Ich empfehle an dieser Stelle ausdrücklich das Interview mit Zukunftsforscher Gábor Jánszky auf saatkorn über die Arbeitswelten der Zukunft. Jánszky sieht in der Zukunft zwei Arten von Unternehmen. Einmal die fluiden. Das sind solche, die ihre Mitarbeiter für ein Projekt einstellen und dann auch wieder gehen lassen (oder noch besser: direkt in ein anderes Projekt rausvermitteln), um sie später für ein neues Projekt wieder zu holen. Die entscheidende Kunst ist hier als nicht das Binden von Mitarbeitern, sondern das faire, saubere Trennen und Zurückholen. Über eine längere Zeit in Kontakt bleiben ist ein wichtiger Punkt. Die andere Art sind die Caring Companyies. Diese versuchen genau das Gegenteil: Sie wollen ihre Mitarbeiter um jeden Preis binden. Und zwar vor allem dadurch, dass sie das private Umfeld der Mitarbeiter an sich binden. Die Familie soll sich wohlfühlen, dann bleibt auch der Mitarbeiter.

Da wir alle wissen, dass wir Menschen sehr unterschiedlich ticken, ist das ein pragmatische Vorstellung der zukünftigen Arbeitswelt. Denn es wird immer Menschen geben, die Kontinuität, und andere, die die Veränderung suchen.

Falls Sie sich jetzt, wie ich, gefragt haben: Wenn in den fluiden Unternehmen alle ständig kommen und gehen – wer „ist“ denn dann noch das Unternehmen? Dann kann ich Ihnen eine Antwort geben: Die „Sicherheitstruppe“ der Generation Y“ Sie stellt die Führungskräfte, die die Kernmannschaft der fluiden Unternehmen bilden. Und die „Autonomen“ werden drum herum kreisen und von einem Projekt zum nächsten springen. Ganz ehrlich: Das liest sich alles ziemlich realistisch.

Mitarbeiterbindung – und was macht HR?

Ein letztes Fass mache ich noch auf, aber dann ist Schluss. Ich muss mich nämlich schon im Voraus entschuldigen. Gestern auf der Messe habe ich am Stand der Absolventa ein knappes Videostatement zu vier Fragen, die HR Branche betreffend, gemacht (das Video wird wahrscheinlich demnächst auf Jobnet. de veröffentlicht – und dann krieg ich Haue). Denn dort habe ich sinngemäß gesagt: „HR wird in Zukunft im Recruiting keine Rolle spielen. HR kann keine unternehmenskritischen Positionen besetzen – und hat es noch nie gekonnt.“ Das, liebe HR’ler, tut mir in dieser Einseitigkeit im Nachhinein natürlich etwas Leid. Denn so verallgemeiner kann ich das nicht. Und deswegen entschuldige ich mich jetzt schon für diese Aussage. „Nie“ und „allgemein HR“ stimmt nicht!!!!!! Aber ich bleibe dabei, dass die Rolle von HR im Recruiting in der Vergangenheit keine rühmliche war und in der Zukunft nicht mehr da sein wird.

Recruiting, vor allem die Besetzung von unternehmenskritischen Positionen, wird in der Verantwortung der Führungskräfte liegen. Denn kein gefragter „autonomer“ Spezialist wird Lust haben, sich mit einem nicht aussagekräftigen „Mittler“ auseinander zu setzen. Die wollen direkt mit der Führungskraft sprechen. Das ist schneller und aussagekräftiger. Stellt sich nebenbei die Frage, was die Personaldienstleister dann noch machen? Gibt es sie dann noch?

Mitarbeiterbindung – „what if“ Kruse joins Coldplay and GenY is listening?

Nach diesen ganzen Gedanken bleibt Chaos. Ich habe mich bei meinen zwei Tagen auf der Zukunft Personal gefragt, wieviele der ganzen Softwareanbieter und Dienstleister eigentlich eine Existenzberechtigung haben? Die unterscheiden sich teilweise nur marginal – und marginal sind auch die Gewinne, die insbesondere viele HR Start Ups in den nächsten Jahren einfahren können. Wovon wollt Ihr alle leben, liebe Leute?  Und brauchen Unternehmen eigentlich in Zukunft noch eine Talent Management Software? Oder ein Mitarbeiterbindungsprogramm? Mein Tipp: Jetzt gilt es noch Kasse zu machen. Denn HR ist den Trends 5-10 Jahre hinterher. Wer in den nächsten Jahren nicht Umsatz macht, ist bald weg vom Fenster.

Was wird übrig bleiben? Ich weiß es noch nicht. Aber vielleicht nach der nächsten Offenbarung? Ich hatte doch noch irgendwo ein altes Wurstbrötchen …

Machen Sie es gut.

Ihr

Henrik Zaborowski