Es lebe die Personalvermittlerbranche!! Hier ist Geldverdienen immer noch so trivial wie eh und je! Sie brauchen sich einfach nur ein oder zwei Unternehmen als Milchkuh halten. Welcher Arbeitgeber braucht schon Kreativität, gesunden Menschenverstand, Hirn und Anspruch, wenn er genug Geld und/oder Ignoranz hat? Also liebe Leser, falls Sie für Ihren Arbeitgeber irgendetwas mit Recruiting zu tun haben: Vergessen Sie alles, was Sie je von mir zu dem Thema gelesen haben! Es waren nur Fieberphantasien eines alten, senilen Geistes, der sich der Realität nicht stellen wollte.

Eigentlich wollte ich darüber schreiben, dass das „alte, uns bekannte“ Recruiting stirbt (inkl. dem ganz Social Media Gedöns). Weil, ja weil es nicht funktioniert und es etwas viel besseres gibt: Nämlich Netzwerken. Ich meine, echtes Netzwerken mit mir bekannten Personen. Das wird das Recruiting der Zukunft. Aber selbst ich nehme Realitäten wahr und irgendwann auch an (auch wenn es bei mir immer etwas länger dauert). Und nach den Erfahrungen und Gesprächen der letzten Wochen habe ich es jetzt verstanden! Ich werde die (Recruiting)Welt nicht verändern. Kaum habe ich mich als Recruiting Coach selbständig gemacht, kann ich auch schon wieder einpacken. Zu stark ist „die dunkle Seite der Macht“. Recruiting stirbt! Die (nie besonders stark ausgeprägte) Recruitingkompetenz der Unternehmen sinkt weiter, allen Unkenrufen zum Trotz. Es bleibt noch nicht mal beim Alten, es wird immer schlimmer. In den nächsten Wochen werde ich Ihnen ein paar Beispiele geben, woran ich das festmache. Heute geht es um die Zusammenarbeit von Arbeitgebern mit Personalvermittlern (Vermittler, Berater, Head Hunter, nennen Sie sie, wie Sie wollen).

Wer braucht Recruitingkompetenz, wenn er Geld hat?

Wenn ich sehe und höre, wie Unternehmen mit Personalvermittlern zusammen arbeiten, stellt sich bei mir große Ratlosigkeit ein. Ich suche rationale Gründe für den aktuellen Zustand. Und finde sie nicht. Es muss an „der Macht“ liegen. Zu stark ist offensichtlich die Recruiting-Ahnungslosigkeit der Unternehmen – und zu süß und verlockend der klebrige Honig der Verführung der Personalvermittler. Oder sollte ich sagen: Zu schmeichelnd die warme, zärtlich melkende Hand des Dienstleisters am Euter des Arbeitgebers? Ich kenne mich mit Kühen nicht so aus. Vielleicht wollen die auch von Natur aus nicht nachdenken und täglich gemolken werden – und damit ihre Bestimmung erfüllen? Das ist ehrenwert, liebe Kühe. Aber lasst Euch sagen: Ihr dürft mehr sein als Milchlieferanten. Ihr habt ein selbstbestimmtes Leben verdient!

Ok, Sie fragen sich jetzt sicher: „Was hat er denn, der Zaborowski?“ Naja, Recht, natürlich 🙂 Nein, ich verstehe, Sie wollen wissen, was mich zu obigen Zeilen veranlasst. Ich erzähle es Ihnen.

Vor einigen Tagen rief mich ein Ex-Kollege an. Er ist selbständiger Personalberater und bekam kürzlich einen Anruf von einem ihm bekannten Personaler. Dieser hat den Job gewechselt und soll beim neuen Arbeitgeber die Zusammenarbeit mit den Recruitingdienstleistern neu organisieren. Und da dachte er halt auch an meinen Ex-Kollegen. So nett, so fair. Da es sich bei den offenen Positionen alles um IT-Spezialisten handelt (von denen mein Ex-Kollege eigentlich keine Ahnung hat), bat er mich um Unterstützung beim Akquisegespräch – und dann gerne auch bei der Besetzung der Stellen.

Was mich aufhorchen ließ, war folgende Information: Das Unternehmen hat im letzten Jahr über 1,5 Millionen Euro für Personalberaterhonorare ausgegeben! Dieser Kostenblock soll nun gesenkt werden, klar. Und gleichzeitig sind schon Anfang diesen Jahres über 30 Stellen zu besetzen. Ahnen Sie, welche Bilder vor meinem inneren Augen vorbeizogen? (Nein, falsch! Nicht die Bilder vom Bad in 100 Euro-Noten, meiner Frau im Edel-Dessous mit Champagner in der Hand und meinem Porsche vor der Haustür! Also wirklich!) Sondern Bilder davon, was man mit nur der Hälfte des Budgets an kurzfristig greifenden und langfristig wirksamen Recruiting- und Employer Branding Maßnahmen umsetzen könnte. Und als Recruitingoptimierer ist mein Ansatz die Hilfe zur Selbsthilfe, also sagte ich meinem Kollegen meine Unterstützung zu. Um im Akquisegespräch dem Personaler meine Ideen vorzustellen und gemeinsam das Projekt anzugehen (Sie sehen, ich glaubte da immer noch an eine bessere Recruitingwelt …).

Wir bereiteten uns einige Stunden auf den Akquisetermin vor. Präsi mit unseren Erfahrungen / Kompetenzen / Referenzen gebaut, dann Wettbewerbsanalyse (der Wettbewerb war mir zwar im Wesentlich schon bekannt, aber manche Personaler wollen es ja ganz genau wissen), Außendarstellung des Unternehmens, eingesetztes Recruitingsystem, laufende Employer Branding Maßnahmen etc. Da poppten schon einige Punkte hoch, die unbedingt angegangen werden sollten. Hoch motiviert und zuversichtlich fuhren wir also zum Termin. Der dann ganz anders lief als gedacht (jaja, ist gut, Sie haben Recht: Ich hätte es wissen müssen).

Recruiting – immer noch die low brainer Disziplin der Wirtschaft

Da mein Ex-Kollege und der Personaler sich schon kannten, fiel die persönliche Vorstellung aus. Der Mann kam gleich zur Sache, ich liste mal die wesentlichen Punkte auf.

  • Er ist (mit noch einer Kollegin) eingestellt worden, um die Personalberaterkosten zu senken.
  • Er ist noch in der Probezeit, die Erwartungen sind hoch.
  • Er will nur noch mit fünf Dienstleistern zusammenarbeiten.
  • Die Personalberater, die schon länger mit dem Unternehmen zusammenarbeiten, drückt er gerade im Honorar. Die murren, aber das ist ihm egal.
  • Er hat jetzt schon über 30 offene Stellen, aber auch schon sechs Einstellungen in den ersten zwei Januarwochen.
  • Alle Dienstleister sollen/dürfen sich an allen offenen Stellen versuchen. Jeder darf Kandidaten zu allen offenen Stellen liefern.
  • Er hat überhaupt keine Ahnung von den Stellen. Hatte mit IT bisher noch nichts zu tun (er kannte auch den Wettbewerb nur seeehr rudimentär)
  • Wer ihm schlechte Profile liefert, ist ganz schnell wieder draußen.
  • Wer hinter seinem Rücken an den Fachbereich rangeht, ebenso.
  • Wir sollen die Kandidaten als Initiativbewerber ins Onlinesystem hochladen. Die sieht er dann und leitet sie an die Fachbereiche weiter.
  • Beim Honorar sollen wir ihm was vorschlagen. 25% zahlt er nicht (zwischen den Zeilen deuteten sich 15- maximal 20% an).
  • Sie sind schnell, der Prozess relativ schlank, sie zahlen schnell.
  • Wer hier als Dienstleister einen guten Job macht, kann mit ihm aufgrund der Masse der Stellen gut Geld verdienen.

So, das waren die Fakten. Vielleicht muss ich dazu schreiben, dass er mir als Mensch durchaus sympathisch war. Klar, deutlich, keine Wichtigtuerei, kein „ich bin der Tollste“ Gehabe – das gefiel mir. Inhaltlich wollte ich aber auf etwas anderes hinaus. Ich machte den zarten Versuch eines Vorschlags: „Mein Ansatz ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Haben Sie schon mal über verschiedene eigene Maßnahmen neben dem Einschalten von Personalberatern nachgedacht?“ Weiter kam ich nicht. „Nein, das ist nicht geplant. Dafür gibt es keine Planstelle. Kostet ja auch Geld. Müsste man ja auch jemanden haben, der es kann“. Ich nochmal mit „Käme nicht ein Outsourcing in Frage?“ „Nein, nicht mal im Ansatz“. Das war es dann. Nun ja, jetzt werden Sie sagen: „Zaborowski, hää? Gib halt nicht so schnell auf! Da musst Du nachhaken, verkaufen, Nutzenargumentation, Einwandbehandlung etc.“ Ja, da haben Sie wohl recht, liebe Leser. Aber seine Antworten kamen so schnell, sein Tonfall war so eindeutig – das war aus meiner Sicht nicht der richtige Zeitpunkt zum Diskutieren. Vielleicht später.

Also fragten wir noch nach der Möglichkeit eines Stellenbriefings (was bei 30 Stellen umfangreich werden würde), einer „Selling Story“, Besonderheiten des Arbeitgebers, die ihn attraktiv für die Zielgruppe machen etc. Was Personalberater halt so fragen. Ich meine, mit irgendwelchen Infos (außer der Stellenbeschreibung) müssen wir doch auf potentielle Kandidaten zugehen können. Er meinte nur, ja, grundsätzlich können wir den Fachbereich mal was fragen, aber auf keinen Fall nerven. Also am besten mit der Frage direkt zu ihm und wenn er nicht weiter weiß, dann fragt er bei passender Gelegenheit den Fachbereich.

Die alles entscheidende Frage: Geht so Recruiting?

Wir haben uns dann verabschiedet und auf dem Rückweg ratterten meine Gedanken. Ich googelte im ICE bereits nach neuen Jobs für mich. Irgendwo in der fleischverarbeitenden Industrie oder als Flaschenpfandsammler oder so. Wo man nicht so viel nachdenken oder kreativ sein muss. Muss man im Recruiting ja (anscheinend) auch nicht. Der Beweis wurde mir gerade wieder geliefert. Nur, wenn trotzdem alle so tun, als wenn Recruiting wahnsinnig wichtig und herausfordernd wäre, dann ist das auf Dauer für jemanden wie mich ziemlich deprimierend. Ich bin nicht so gut im „so tun als ob“. Aber tief in mir rebellierte etwas und glaubte immer noch an das Gute in der Branche. Ich erforschte meine Gefühle, um nicht auf die dunkle Seite der Macht herein zu fallen und versuchte nochmal, meine Gedanken zu sortieren.

Ich fing bei dem Personaler an:

  • Warum wurde der Mann eingestellt, wenn er keine Ahnung von den Jobs hat? Er kannte noch nicht mal die Wettbewerber! Ok, Sie haben recht, ich bin ein Freund von „das kann man alles lernen“. Abgehakt.
  • Wozu braucht es für den Job einen Personaler? Dienstleister steuern – dafür würde ich mir einen Unternehmensberater mit 3-4 Jahren Berufserfahrung im Projektmanagement holen. Der dürfte das besser können.
  • Der Mann tut mir Leid. Die Entscheidung, dass die Kosten über das Drücken der Honorare gesenkt werden sollen, kam ja nicht von ihm. Die hat das Management getroffen. Um dann zu entscheiden: Wir stellen jemanden ein, der das macht. Der Gestaltungsspielraum auf dieser Stelle dürfte rudimentär sein, der Druck umso größer. Warum tut er sich das an? Braucht er einen Job und hatte keine Alternative? Oder denkt er, genau so geht Recruiting und er hat einen guten Job ergattert?

Und dann wurde ich grundsätzlich. Denn die alles entscheidende Frage ist doch: Geht so vielleicht tatsächlich Recruiting?

Ich meine, er hat schon sechs Einstellung, und er ist erst im November gestartet. Erfolgreich, oder? (Ok, ich weiß, dass das sogenannte Quick Wins sind. Kandidaten, die die Personalberater gerade „an der Hand hatten“. Die Länge des Weges trägt die Last). Und diese IT-Spezialisten, die lesen ja tatsächlich keine Stellenanzeigen. Die wollen angesprochen werden. Wie soll ein Unternehmen da denn auch sonst drankommen, als über Personalberater? Und wie soll er alleine 30 offene Positionen besetzen? Genau. Es geht eigentlich gar nicht ohne externe Hilfe.

Aber was ist mit diesem ganzen Gedöns, über das wir Möchtegern-innovativen Berater alle so schreiben? Employer Branding? Selling Story? Recruitingstrategie? Candidate Experience? Ja, ist das denn alles Schwachsinn? Sieht so aus. Aus Unternehmenssicht ist es ganz einfach: Ich nehme einfach genug Geld in die Hand und lasse mir die Kandidaten von Personalvermittlern aller Art und Güte servieren. Das scheint ja eh der Trend zu sein. Vor einiger Zeit hatte ich mal bei einer IT Beratung angerufen zwecks einer kleinen Umfrage. Es ging um eine Employer Branding Maßnahme für knapp 2000,- Euro im Jahr. Ich hatte einen netten, jungen, unverbrauchten Absolventen am Telefon der meinte, leider haben sie für sowas kein Budget. Das geht alles für Personalvermittler drauf. Scheint also durchaus normal zu sein.

Und gerade hat wieder so eine Plattform aufgemacht (für die ich jetzt hier keine Werbung mache), über die können Unternehmen offene Stellen ausschreiben (Achtung, Originaltext vom Plattformanbieter) „und gleichzeitig über 100 Personalanbieter für sich arbeiten lassen! Sie erhalten anschließend von den Personalanbietern eine Auswahl konkreter Kandidatenangebote mit Lebenslauf als PDF. Sie gehen kein Risiko ein. Sie bleiben auf Wunsch anonym und zahlen die Vermittlungsgebühr an die Personalbieter nur bei Erfolg.“

DAS liest sich doch sexy, oder? Nie wieder Gedanken machen, wie ich an Kandidaten rankomme. Und da auf der Plattform hunderte Dienstleister sind, wird irgendeiner wohl einen passenden Kandidaten für mich haben. Und ich zahle nur bei Erfolg. Mein Chef wird mich lieben!

Recruiting – Niemandsland zwischen Irrsinn und Träumerei?

Ok, das ist also der Gegentrend zu dem ganzen „Unternehmen müssen sich mehr Mühe geben“ Gerede. Akzeptiert. Jetzt sage ich Ihnen aus meiner Erfahrung, wie das Spielchen weitergeht. Wichtig ist zu verstehen: Wenn wir wirklichen den Demografischen Wandel bekommen und Unternehmen wirklich am Markt heiß umworbene Kandidaten suchen, dann hat immer der die Macht, der den Kontakt zu den Kandidaten hat!

Bei dem oben erwähnten Beispiel wird es zuerst so laufen, dass das Unternehmen jedes Jahr versuchen wird, bei den „alten“ Dienstleistern das Honorar zu drücken („Sie verdienen doch so gut an uns, das können wir uns auf Dauer nicht leisten …“). Das hatte ich persönlich auch schon ein paar Mal (schade, wenn gute Leistung schlecht belohnt wird). Oder die alten werden einfach gegen neue ausgetauscht, die weniger Honorar verlangen. Oder die guten Personalberater liefern einfach nicht! Weil die guten Personalvermittler den Kontakt zu den Kandidaten (die Mangelware sind) haben und genug potentielle Kunden auf dem Markt sind, die sich die Finger nach diesen Kandidaten lecken. Also werden sich die guten Dienstleister ihre Kunden danach aussuchen können, wer das höchste Honorar zahlt und mit wem man am besten arbeiten kann (wer die Kandidaten auch für sich gewinnen kann). Habe ich also einen IT Spezialisten an der Angel, stelle ich ihn zuerst bei meinen bevorzugten Kunden vor. Dem „schlechten“ Kunden präsentiere ich einfach keine oder nur, wenn der Kandidat für die guten Kunden nicht passt. Irgendwann merke ich das als Arbeitgeber und muss die Honorare wieder erhöhen (oder mir was anderes einfallen lassen).

Bei dieser erwähnten „Vermittlungs-Plattform“ wird es ähnlich laufen. Zuerst denken die Arbeitgeber, sie sind die Stärkeren. Denn bei hunderten Dienstleistern ist der Wettbewerb untereinander groß und ich kann die Honorare drücken bzw. finde schnell den passenden Kandidaten. Suche ich aber wirklich Spezialisten, sind die Dienstleister auf der besseren Seite und können die Honorare nach oben korrigieren. Und noch viel entscheidender: Da ich mich als Arbeitgeber nie darum gekümmert habe, mal selber den Kontakt zu den Kandidaten aufzubauen, bleibe ich weiter in der Abhängigkeit der Dienstleister. Was der größte und wesentlichste Nachteil ist.

Das ist meine Sicht der Dinge. Es gibt sicherlich andere. Auf dem Promerit Neujahrsempfang hatte ich z. B. Gelegenheit, mit einigen klugen Köpfen der HR Szene zu sprechen. Und natürlich sprach ich dieses Erlebnis an. Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich. Von „Henrik, vergiss unser ganzes Berater-Gelaber. Die Unternehmen wollen einfach nur Kandidaten. Wie und wo die herkommen, das ist denen doch egal“ über „Das geht ja gar nicht, was macht der Mann auf der Position“ bis zu „Ja, so ist halt HR. Weitermachen wie bisher“.

Ich werde mir in den nächsten Wochen noch weitere Gedanken zu dem Thema „Recruiting stirbt“ machen und hoffe, Sie bleiben mit dabei. Denn natürlich stimmt es nicht, dass die Personalvermittlungsbranche eine Gelddruckmaschine ist. Es gibt auch Gegenbeispiele. Und ich frage mich langsam, wer denn überhaupt noch Lust auf Recruiting hat? Die Begeisterung für das Thema schwindet aus meiner Sicht.

Aber jetzt sind Sie erst einmal dran. Was denken Sie über das oben geschriebene? Was ist Ihre Meinung zum Umgang mit Personalvermittlern (ob sie sich nun „Berater“ nennen oder nicht) und der Weigerung (?) selber im Recruiting aktiv zu werden. Ich bin gespannt.

Herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski