HR schlägt zurück! Das liest sich kämpferischer als es ist. Dahinter verbirgt sich aber der Versuch einer „Gegendarstellung“ von HR. Denn zugegeben (wie auch ich mir schon öfters anhören musste): Auf andere „draufhauen“ ist einfach. Auch wenn ich von mir behaupte, dass ich ja auch konstruktive Vorschläge mache, wie es besser geht. ABER richtig ist auch: Es gibt auch noch andere „Spieler“ in diesem Tauziehen um die besten Jobs bzw. Mitarbeiter: Nämlich die Bewerber. Und die, liebe Leser, sind auch keine Heiligen. Was Sie gleich lesen, ist kein Artikel von mir. Denn vor ein paar Tagen erreichte mich die mail von „Anonymouse Blogger“ einer Recruiterin, die anonym bleiben und trotzdem von ihren Erfahrungen mit „den lieben Bewerbern“ berichten möchte. Und da ich alle ihre Beispiele aus eigener Erfahrung kenne, gebe ich dem natürlich gerne Raum. Viel Spaß beim Lesen!

„Hallo Herr Zaborowski,
ich lese regelmäßig Ihre und andere HR-Blogs. Was mir aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass häufig auf HRlern, Recruitern, Marketing oder sonstigen Unternehmensvertretern rumgehackt wird. Zurecht (in den meisten Fällen)! ABER! Ich würde gerne mal die Unternehmenssicht von HR auf die Bewerber 2.0 beisteuern. Ein Thema das ich die letzten Jahre schmerzlich vermisst habe. Da anonymes bloggen nicht möglich ist (zu mindestens hat sich mir keine Möglichkeit gezeigt) bin ich so frei, mich an Sie zu wenden. Meine Gedanken zum Thema finden Sie anbei. Wenn Sie die Diskussion anstoßen wollen, können Sie meine perönlichen Eindrücke gerne nutzen.

Ich bin bisher nur Passivblogerin, d.h. konsumieren ohne zu produzieren. Das geht auf Dauer nicht, habe ich mir gesagt und den Stift die Tastatur in die Hand genommen. Der Grund ist relativ schnell erklärt: In jedem zweiten (gefühlt sogar in jedem) HR-Blog liest man, dass sich die Unternehmen doch bitte „anständig“ den Bewerbern (Kunden) gegenüber verhalten sollen. Alles klar, alles richtig, habe ich kapiert. Will ich auch nicht widersprechen. Gehört für mich zum normalen zwischenmenschlichen Umgang, also dass mit dem Respekt und dem Anständig und so.

Aber warum schreiben immer alle über den HR-Manager/Recruiter 2.0. Es gibt auch den Bewerber 2.0. Das sind Bewerber die den Fachkräftemängel in vollen Zügen leben und genießen. Oder wie Frau Nahles singen würden: „Ich mach‘ mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt …“. Es gibt sie längst und meiner Meinung nach zu viele Bewerber 2.0. Die sich so verhalten, als hätten sie 5 Jobs parallel zu Auswahl! Prinzipiell schön für die Bewerber, aber muss man sich deshalb verhalten wie das letzte A…?

Ich will an dieser Stelle anonymisiert, aber ungeschminkt aus der Unternehmensrealität berichten. Und zwar die Realität die sich mir als HR-Verantwortliche bietet, aus einem KMU Dienstleistungsunternehmen im technischen Umfeld. Mit ein paar Beispielen aus der Praxis, möchte ich zeigen das Respekt und fairer Umgang keine Einbahnstraße ist (sein sollte). Vielleicht verbirgt sich da hinter ein trauriges Einzelschicksal, aber vielleicht gibt es auch andere Betroffene HRler die von Bewerbern 2.0 zum Wahnsinn getrieben werden. Zum besseren Verständnis habe ich mir erlaubt Kategorien bzw. Schubladen zu öffnen, die ich jetzt vor Ihren Augen füllen werde…

Kategorie 1 – Huch, mir ist da was dazwischen gekommen

Kennt jeder und kann auch jedem passieren. Aber was man da so erlebt, lässt mich ernsthaft zweifeln, ob da nicht doch gelegentlich ein bisschen flunkern dabei ist. Absage einen Tag oder wenige Stunden vor einem Bewerbungsgespräche mit Aussagen wie: spontane Hochzeit eines Freundes, Trauerfall, Auto gestohlen, Krankheit, muss doch arbeiten, Projekt braucht mich. Und wenn nur 10% davon erfunden ist, ist das trotzdem eine Sauerei. Wir nehmen uns Zeit, bereiten uns vor und dann sowas. Es kann immer was dazwischen kommen und wir sind die letzten, die keinen Zweit- oder Dritt oder X-Termin anbieten. Aber schlecht erfundene Ausreden zeugen von mangelnder Wertschätzung gegenüber dem Unternehmen.

Kategorie 2 – Der Termin passt mir nicht

Auch das mag man nicht glauben. Da will ein Unternehmen einen Bewerber unbedingt kennen lernen und dann findet der Umworbene keine Zeit für einen Termin. Weder früh, noch spät, weder in der Woche noch am Wochenende. Das Ergebnis: Fünf Terminvorschläge später liegen dann zwischen Bewerbung und noch nicht erfolgtem Gespräch 8 Monate (in Worten: acht Monate). Interesse wird seitens des Bewerbers kontinuierlich beteuert, aber das mit dem gemeinsamen Termin finden ist schon so eine Sache.

Wieso schicke ich meine Unterlagen an Unternehmen, wenn ich doch offensichtlich nicht wirklich ernstes Interesse habe an einer Veränderung. Natürlich habe die meisten dieser Bewerber einen sicheren Job und keine Not zu wechseln. Aber dann spare ich doch allen Beteiligten die Arbeit und lasse es. Meine Vermutung: Viele wollen nur mal Ihren Marktwert testen. So nach dem Motto: „Also, wenn ich wolle, dann könnte ich, aber ich will ja eigentlich nicht.“ Schöne Zeiten sind das, in denen man sich zum Spaß bewirbt.

Kategorie 3 – Ich bin dann mal weg

Manchmal läuft dann doch alles glatt. Unternehmen und Bewerber wollen den Bund fürs Leben eingehen und haben einen Arbeitsvertrag geschlossen. Super in 1,2,3 oder X Monaten kommt der neue Mitarbeiter zu uns. Aber wehe dem, der glaubt in Deutschland sind rechtsverbindliche Verträge heilig. Weit gefehlt, es wird gekündigt wie es gefällt. Im Zweifelsfall auch, wenn die Tinte trocken ist, um es mal deutlich zu formulieren. Auch hier ist eine Ausrede lächerlicher als die Andere, warum der Vertrag dann noch direkt in den Shredder soll.

Die Freundin im Ausland die dringend Unterstützung braucht, die überforderte Frau zu Hause oder einfach nur der Ex-Arbeitgeber der jetzt doch zukünftig alles besser machen und die wertvolle Fachkraft nicht gehen lassen will. Toll! Noch toller, wenn man die „Fast-Mitarbeiter“, dann bei Xing bei einem anderen Arbeitgeber schaffen sieht, anstatt sich im Ausland um die Freundin zu kümmern, die doch so dringend Hilfe brauchte.

Diese Mentalität Arbeitsverträge zu unterzeichnen wie den Kassenbeleg im Supermarkt und dann wegzuschmeißen ist echt ein Unding. Was soll das? Ich kann ja suchen und vergleichen, aber wenn ich mich entschieden habe, sollte ich doch Rückgrat haben und zu meiner Entscheidung stehen oder absagen, wenn ich zu Unternehmen X nicht will. Oder sind meine Wertevorstellungen seit dem Mittelalter veraltet? Wir als Unternehmen sind dann natürlich auch nachsichtig und bringen dafür Verständnis auf; „kein Problem, dann machen wir den Arbeitsvertrag halt rückgängig Herr Müller.“

Kandidat 4 – The anwser my friend is blowing in the wind

Kennen Sie das auch? Sie treten (meist aktiv, z.B. über Social Media Kanäle) mit einem Interessenten in Kontakt. Sprechen telefonisch miteinander, schreiben sich Mails, alles läuft „normal“ und dann von heute auf morgen – Funkstille. Was ist passiert mit meinem Gesprächspartner. Diese Frage habe ich mir schon öfters gestellt. Meistens ist sicher nicht Unfall oder Krankheit im Spiel, welche die Rückmeldung verhindern. Vermutlich ist einfach kein Interesse mehr dahinter sich beruflich neu zu orientieren.

Aber ist es tatsächlich zu viel verlangt, dass seinem Gegenüber mitzueilen anstatt sich tot zu stellen und auf nachfragen nicht zu reagieren. Ich rede hier wohlgemerkt von Personen mit denen ich teilweise über eine Stunde persönlich gesprochen haben, die mir zugesagt habe: „Ich melde mich nächste Woche bei Ihnen“ oder „Ich mache meine Unterlagen fertig und schicke Sie Ihnen zu“. Da kommt das Thema mit dem Respekt noch mal deutlich zum tragen. Man kann doch sagen: „Danke für die Gespräche, aber zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keinen Anlass diese fortzuführen“ oder „Ich habe es mir anders überlegt und doch kein Interesse mehr“. Ist in 5 Sekunden getippt und abgeschickt. Ich will ja keine Romane und Erklärungen warum nicht, aber wenigstens ein: „Nein (Danke).“

So, Schubladen zu und Tränen aus den Augen gewischt. Aber so sieht meine Realität aus. Die HR- Managerin, die von Bewerben 2.0 zum Wahnsinn getrieben wird. Gut so schlimm ist es jetzt auch nicht (ist ja der komprimierte Wahnsinn), aber es musste mal raus.

Fazit: Nicht immer auf den Unternehmen rumhacken, die den Bewerben nicht mit Kusshand begegnen, sondern auch mal die andere Seite zeigen. Die Bewerber 2.0 die den respektvollen Umgang mit HRlern, Unternehmen, Personaldienstleistern und anderen Lebewesen offensichtlich verlernt haben. Aber mein Glaube an eine gute Welt in der sich Unternehmen und Bewerber (oder einfach nur Menschen) auf Augenhöhe begegnen und fair miteinander umgehen ist noch nicht gestorben. Dafür mache ich den Job zu gerne.

In diesem Sinne, Danke fürs zuhören. Ich freue mich über Resonanz jeder Art. Vor allem interessiert mich natürlich, ob es Erlebnisse mit Bewerbern 2.0 gibt, die meine Erlebnisse als Kindergartengeburtstag dastehen lassen.“

(hier endet der Brief, Hervorhebungen von Henrik Zaborowski)
So, liebe Leser! Wie sieht es aus? Machen Sie ähnliche Erfahrungen? Ich gebe gerne zu, auch ich kenne alle Beispiele aus der eigenen Recruiterpraxis. Und kann darüber auch nur den Kopf schütteln. Aber wie ist es mit Ihnen? Wir = Anonymouse Blogger und ich, freuen uns auf Kommentare.

Herzlichen Gruß,
Ihr Henrik Zaborowski

P.S. Wenn Sie später dazugekommen sind: Hier geht es weiter HR schlägt zurück – ein Zwischenfazit.