Mobile Recruiting – ein Stichwort, das für (von mir geschätzt) 98% aller Unternehmen in Deutschland (noch) kein Thema ist. Und daher auch nicht mehr als eine Randnotiz Wert sein sollte. Doch wenn das Team von ABSOLVENTA Jobnet wie letzten Donnerstag eine Auswahl innovativer HR Köpfe zum gemeinsamen brainstorming und BBQ genau zu diesem Thema einlädt, dann bekommt selbst so ein desillusionierter HR Blogger wie ich neue Hoffnung, das noch etwas passieren kann im Recruiting. Irgendwie, irgendwo, … in 10 Jahren oder so. Ich kann Ihnen keinen Zeitraum sagen – aber ich verspreche Ihnen: Es wird sich etwas bewegen.

Mobile Recruiting zwischen Wunsch und Wirklichkeit

ABSOLVENTA hatte zusammen mit dem HCM der LMU eine Studie zum Mobile Recruiting der Generation Y durchgeführt. Ich will die Ergebnisse hier nicht im Detail darstellen (ich habs nicht so mit Zahlen), schauen Sie sich dazu doch den Artikel von Daniel Furth oder auch den Nachbericht von Stefan Scheller an. Hier nur das Wesentliche: Mobile Endgeräte werden aktuell vor allem für die Jobsuche genutzt. 88% der Befragten haben sich noch nie mobil beworben. Und von denen können sich auch nur 4% vorstellen, ihre Bewerbung vollständig mobil abzuwickeln. Die große Mehrheit geht den indirekten Weg, in dem sie z. B. mobil nach Jobs suchen (96% suchen auf Jobbörsen!) und sich die links zu den Stellenanzeigen dann per email „an den PC“ schicken, um dort die Bewerbung fertig zu machen. Also, erst einmal großes Aufatmen bei der Mehrheit der Unternehmen, oder? Aber 60% der Befragten halten Arbeitgeber ohne mobil-optimierte Website für weniger attraktiv. Und 40% wünschen sich, sich über ein vorhandenes Netzwerk wie Xing oder Linkedin bewerben zu können. Wünschen darf man sich ja viel, aber ob diese Option dann auch wirklich genutzt wird, da waren sich die anwesenden Praktiker skeptisch. Denn (und hier kommen wir zum Faktor Mensch, der Recruiting so kompliziert macht): Viele Bewerber denken immer noch, sie müssten sich „richtig“ bewerben. Mit Anschreiben, „Mühe geben“ etc. Weil sie (nicht zu Unrecht) den Recruitern nicht glauben, dass diese eine mobile Bewerbung gleichwertig behandeln wie eine „klassische“. Wir haben also vor allem ein Problem in den Köpfen aller handelnden Personen, weniger in der Technik, wie wir schon auf dem HR Barcamp 2014 festgestellt haben.

Wo wir gerade bei „klassisch“ sind: Die „klassische“ Stellenanzeige ohne Schnickschnack wie eingebundenem Video, Zoom-Funktion, Rückruf-Button und Selbstzerstörungsmechanismus nach Verlassen der Seite braucht sich zumindest um ihre mobile Zukunft wohl keine Sorgen machen. Denn zwar erwarten 79% der Befragten eine mobil-optimierte Stellenanzeige, aber das heißt vor allem: mobil lesbarer Text! Verschiedene Anbieter reagieren schon darauf und brechen z. B. jede mobile Stellenanzeige rein auf den Text runter. Careerbuilder aus den USA geht soweit, die Anzeigen komplett umzustrukturieren. Da finden sich dann eher Stichworte statt Prosatexte. Und die Allianz verzichtet lt. Dominik Hahn sogar auf das Unternehmenslogo bei der mobilen Version. Denn der Upload einer Anzeige sollte keine gefühlte Ewigkeit dauern. Was je nach Übertragungsrate passieren kann, wenn automatisch auch noch ein Video eingebunden ist.

Mobile Recruiting – die Zukunft bringt wieder Menschen hervor

Noch spannender ist aber der Blick in die Zukunft, den wir uns in vier kleinen Arbeitsgruppen gegönnt haben. Denn obwohl der Auftrag für die Arbeitsgruppen war, innovative Idee für mobile Recruitinganwendungen „zu spinnen“, kamen nicht nur Technologieinnovationen dabei heraus, sondern es wurde auch ein neues Denken deutlich, dass sich die meisten anwesenden HR’ler wünschen. Wofür die Recruitingwelt allerdings „umparken muss im Kopf“. Denn, oh Wunder, was wünschen wir uns doch alle? Genau, dass der Mensch wieder als Mensch eine Rolle spielt! Arbeitgeber und Arbeitnehmer finden als Menschen ungezwungener zusammen, tauschen sich auf Augenhöhe aus, es zählen nicht nur Skills, sondern auch die Interessen und die Persönlichkeit! Und die Arbeitgeber geben echte Einblicke in ihre Unternehmenskultur, anstatt im offiziellen Unternehmensblabla sich als die „führenden“, „besten“, innovativsten“ und „erfolgreichsten“ zu preisen. Dieses Denken wirklich mit Leben zu füllen, das wäre eine Sensation! Denn, Hand aufs Herz, wir wissen alle, dass fachliche Skills nicht ausreichen. Aber dass Interessen, Persönlichkeit und Kultur ernsthaft im Recruiting eine Rolle spielen (außer in den Lehrbüchern und in Blogartikeln) – davon ist die Praxis meilenweit entfernt. Für mich als Menschenfreund und Prozess-Legastheniker war es eine Wohltat, diesen Wunsch auch von anderen erfahrenen HR Experten zu hören. Technologie kann dies möglich machen, so verrückt das klingt. Man könnte über Technologie ein besseres Matching bauen, das Unternehmenskultur und Persönlichkeit des Bewerbers besser mit einander abgleicht. Und technologisch die Begegnung von Mitarbeitern und potentiellen Bewerbern erleichtern. Zum Beispiel per App signalisieren „Ich bin jetzt in Frankfurt in der Fressgass‘ zum Mittag und stehe für ein lockeres Gespräch zur Verfügung“. Und alle, die schon immer mal mehr über meinen Arbeitgeber wissen wollten, können das sehen und sich mit mir treffen. Es geht vor allem darum, Menschen in einem ungezwungenen Zusammenhang zusammen zu bringen. Nicht in einer Recruitingsituation, in der jeder wieder den „Verkäufermodus“ an hat.

Und wer das jetzt alles zu romantisch findet – täuschen Sie sich nicht. Die alten Personalauswahlkriterien werden nicht mehr lange helfen. Funktioniert haben sie eh nie richtig, wie ich schon mal in meiner kleinen Reihe „Warum unsere Personalauswahl nichts taugt“ schrieb. Aber Menschen mit einem „beruflichen roten Faden“ wird es immer weniger geben. Die Noten werden auch immer einheitlicher. Und was ich wirklich für einen Job der Zukunft brauche, das weiß doch eh kaum jemand. Was wir aber heute schon wissen: Interesse, Motivation und Begeisterung für das was ich tue und in welchem Umfeld ich das tun kann – das sind heute schon die Kriterien, die über Spitzenleistung oder „Arbeit nach Vorschrift“ entscheiden.

Von daher geht mein Dank an das ABSOLVENTA Team, das einen perfekten Tag organisiert hat, mit grandiosen Speisen (habe noch nie ein so zartes Steak gegessen) und tollen Menschen, die alle ein Ziel haben: Recruiting besser zu machen. Und ich habe die Hoffnung: Wir sind auf einem guten Weg. Kommen Sie mit? Dann bleiben Sie dran, hier an meinem blog. Demnächst mehr dazu 🙂

Herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski