Recruiting ist ne Wurst – dieser Satz fiel mir sofort ein, als ich in das Buch „Mythos Überforderung“ von Michael Winterhoff reinlas. Winterhoff zeigt mit sehr klaren Worten die Ursachen auf, warum unsere Gesellschaft sich immer mehr überfordert fühlt (oder es auch ist?). Um es ganz kurz zusammenzufassen: die Ursachen liegen eben nicht in den äußeren Umständen, die angeblich unveränderbar auf uns einprasseln und gegen die wir uns ja nicht wehren können. Die Welt dreht sich ja schließlich weiter, Digitalisierung und so. Nein, die Ursachen liegen in uns selbst. Wir haben es selber in der Hand, ob wir uns überfordern lassen oder nicht. Und ich dachte sofort: Ja, genau. Wie im Recruiting! Ich kenne viele Unternehmen, die sich vom Recruiting überfordert fühlen. Oder zumindest stark beansprucht. Dabei ist Recruiting eine Wurst. Wie kann eine Wurst Sie überfordern?

Recruiting 2.0 – und seine Begleiterscheinungen

In der Pressemitteilung zu seinem Buch „Mythos Überforderung“ heißt es:

Michael Winterhoff konstatiert: Viele Erwachsene resignieren heute in unserer Gesellschaft, sie vermeiden regelrecht, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.

Ursächlich dafür sind u.a. die unglaublich raschen Veränderungen durch die digitale Revolution, die die Psyche jedes Einzelnen stark belasten, ja überlasten. Ein Dauer-Input an Meldungen und unzählige Reize, die ein konzentriertes Arbeiten häufig kaum noch möglich machen, werden ergänzt durch eine Flut von Krisen- und Katastrophennachrichten.

Die Folge: Unsere Psyche läuft Marathon, kommt nicht mehr zur Ruhe. Alltägliche Ereignisse und Anforderungen können kaum verarbeitet werden.

Kommt Ihnen das aus Ihrem Personalerleben bekannt vor?

„Viele Personaler resignieren heute in unserer Arbeitswelt, sie vermeiden regelrecht, Entscheidungen zu treffen …“ Liest sich etwas hart, oder? Aber nun gut, was prasselt da auch nicht alles auf uns ein.

Eine ganze Menge, oder? Wenn Sie zur Spezies der HR Blogleser gehören, dann werden Ihnen alle diese Begriffe etwas sagen … und Sie vielleicht auch ein wenig überfordern? (Erforschen Sie Ihre Gefühle. Die Macht des Verdrängens ist stark, keine Frage) Da ist es doch fast schon Gnade, wenn man von all dem gar nichts weiß und seinen HR Job so ausübt wie es die letzten 40 Jahre üblich war, oder? Print lebt, nicht wahr?

Mir geht es ehrlich gesagt ähnlich. Es ist echt viel, was der Recruiter 2.0 oder Next Generation so können soll. Aber hey, zum Glück gibt es ja die ganzen neuen Workshops und Seminare, die aus der HR Berater (und zum Teil ja auch aus der HR Blogger) Szene entwickelt werden. Ob nun Candidate Experience, Recruiter Next Generation, Cultural Fit oder Active Sourcing – Sie können sich zu allem weiterbilden. Das ist super! Doch ich verunsicherte Seele betrachte das ein wenig verwirrt und schwanke zwischen Unglauben, Bewunderung und Kopfschütteln. Was erzählen die da? Und brauche ich das auch? Ehrlich gesagt, die Frage bringt mich um meinen Schlaf. Ich weiß nicht, ob mir einfach die Phantasie, der Intellekt oder die Überzeugung fehlt – ich kann mir keinen Workshop zum Recruiting vorstellen! Denn … ich meine … ehrlich jetzt: Was würden Sie denn sagen, wenn ich zum Workshop einlade: „Alles über das Recruiting – oder: Wie esse ich eine Wurst?“?

Recruiting = machen, nicht reden!

Ich habe länger überlegt, ob ich diesen Artikel überhaupt schreiben darf. Denn schließlich verdiene ich mein Geld damit, dass ich Unternehmen erkläre, wie sie ihr Recruiting optimieren können. Muss ich Ihnen daher nicht besser erzählen, wie hochgradig komplex das Recruiting geworden ist? Wie vielschichtig und innovativ? Sollte ich nicht die Horrorszenarien beschwören, dass Ihr Unternehmen in zwei Jahren untergeht, weil sie keine oder nicht die richtigen Mitarbeiter finden werden? Weil Sie Ihre EVP immer noch nicht gefunden, geschweige denn kommuniziert haben? Weil Ihr Karrierebutton immer noch ganz unten rechts einsam auf Ihrer homepage dahin vegetiert (oder gar nicht zu finden ist?). Weil Sie für Ihr Employer Branding immer noch auf hohle Phrasen und Stockfotos setzen? Oder Informationen von sich geben, die eh keinen interessieren? Weil Sie sich noch nie die Journey Ihrer Candidates auf dem Weg zu Ihnen angeschaut haben? Und die Hälfte der Candidate Touchpoints nicht kennen? Und weil Sie immer noch nicht die One-Click-Bewerbung im Unternehmen eingeführt haben?

Ja, das sollte ich vielleicht. Aber ich kann es nicht. Ich bin jetzt seit 14 Jahren im Recruitinggeschäft und schon immer wurde mir erzählt, wie schwierig das Recruiting sei. Und am Anfang meines Berufslebens als Personalberater habe ich das geglaubt. Vier Wochen lang. Dann nicht mehr. Und ich glaube das bis heute nicht. Denn es stimmt einfach nicht! Recruiting ist eine Wurst! Oder richtiger: Recruiting ist wie Wurst essen! Und Sie wollen mir doch nicht erzählen, das wäre komplex, oder?

Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: All die oben erwähnten Themen und Gedanken meiner von mir wirklich sehr geschätzten KollegInnen aus der HR Blogger und –berater Szene sind richtig und wichtig! Aber wenn Sie erfolgreich recruitieren wollen, sind Ihre wichtigsten Stellschrauben ganz andere – und eigentlich auch ganz einfach zu ändern.

Recruiting – oder meine EVP tanzen?

Ich kann mich nur immer wieder entschuldigen

, ich bin einfach ein schlichter Mensch. Komplexe Sachverhalte überfordern mich. Strategien, Zahlen und Visionen und so. Ich kann nur praktisch. Also: Stellen Sie sich vor, Sie in der Stadt. Shoppen. Oder auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Und auf einmal verspüren Sie diesen nagenden Hunger. Und Sie wissen, was Sie wollen. Was in den Bauch. Was deftiges. Sie hören Herby grölen „Biste in der Stadt, was macht dich da satt? Ne Currywurst“.

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Genau, die brauchen sie jetzt. Mal eben. Schnell. Brat- oder Curry, egal. Heiß muss sie sein. Vielleicht noch mit Pommes Schranke. Und nem Kölsch, Pils oder Alt. Aber Sie wollen sie JETZT. Sie überlegen nicht lange, sondern steuern ganz von selbst den nächsten Bratwurststand an und bestellen „einmal Bratwurst bitte“. Und dann steht sie auch schnell vor Ihnen. Heiß, dampfend, lecker. Und jetzt? Was werden Sie tun? Komische Frage, oder? Sie werden sie essen. Bissen für Bissen. Sie werden da stehen, die ersten zwei Happen/Bissen vielleicht zu schnell verschlingen, aber dann wird Ihnen auf einmal klar: Alles wird gut! Diese Wurst läuft nicht weg. Sie können nichts verkehrt machen. In diesem Moment wird alles um Sie herum einfach und leicht. Auf einmal kommen Sie zur Ruhe. Sie lächeln zufrieden in sich hinein, fangen an, ein wenig rumgucken, den Wurstpickser locker in der leicht erhobenen Hand. Sie bleiben da stehen und genießen das wohlige Gefühl uralter Bedürfnisbefriedigung. Die Zeit verlangsamt sich. Sie sind ganz bei sich und ihrer Currywurst. Glücklich. Fokussiert. Im Frieden mit sich und der Welt. Sind wir uns einig?

Ok. Und was genau werden Sie genau in diesen Minuten nicht machen? Sie werden nicht vorher noch bei Karstadt eine Tischdecke mit Blümchen oder Rüschen kaufen. Damit Sie es beim Wurstessen auch schön haben. Sie werden nicht das arme Würstchen anbeißen und dann stehen lassen, um noch beim Rewe City ein Paar Socken zu kaufen. Und Sie werden auch nicht Ihre/n beste/n Freund/in anrufen, um eine halbe Stunde über die Bundesliga oder die neuesten Modetrends zu sprechen. All das werden Sie nicht tun. Wir alle wissen es. Das macht man einfach nicht. Dann wird die Wurst nämlich kalt. Und außerdem haben Sie ja Hunger.

Recruiting – konzentrieren Sie sich!

Aber wissen Sie, im Recruiting, da machen das sehr viele Unternehmen/Personaler.

Sie klöppeln sich lieber in tagelangen Workshops ihre Employer Brand, diskutieren mit Marketing über die völlig belanglose Frage, welche Farbnuance denn die Stellenanzeige haben soll und versuchen stundenlang irgendwelche Personalvermittler abzuwimmeln, die sie entweder mit anonymisierten Profilen bombadieren oder ihnen erzählen, dass sie ja nun wirklich die perfekten Kandidaten schon an der Hand haben und jetzt sollten Sie doch mal die Zusammenarbeit mit ihnen ausprobieren.

Sie füllen Ihre Zeit, sehen wichtig aus, Ihr Terminkalender ist voll, der Betriebsrat will auch was von Ihnen und dann sind da ja auch noch die Bewerber, die Sie interviewen sollen. Aber wissen Sie: All das bringt Sie keinen entscheidenden Schritt weiter! Die EVP ist gut und richtig, aber eher Kür als Pflicht. Corporate Identity dürfen Sie im Recruiting völlig getrost komplett vergessen (ich weiß, diese Meinung teilen nicht alle). Und die wilde Horde unkontrollierter Personalvermittler hält sie nur ergebnislos auf (einige wenige kontrollierte bringen viel mehr). Und wer sagt, dass Sie Bewerbungsgespräche führen müssen? Haben Sie keinen Fachbereich (ich weiß, heißes Thema. Das diskutieren wir hier jetzt bitte nicht). Aber WAS bitte ist Ihr Job? Sie müssen sich nur auf eines konzentrieren: Recruiting in seiner klarsten Form. Schlicht und bodenständig wie Wurst essen. Das ist so unsexy, so banal und so trivial, dass es mir den Schlaf raubt. Wissen Sie, welcher Gedanke mich immer mal wieder erschaudern und nachts nicht schlafen lässt? Dass eines Tages ein Kunde zu mir kommt und fragt: „Zaborowski, wofür bezahl ich Sie eigentlich?“ Und ich dann sagen muss: „Fürs Würstchen essen“.

Momentan muss ich ziemlich viele Würstchen essen. Naja, ehrlich gesagt mach ich schon wieder ganz andere Dinge. So wie Sie wahrscheinlich. Ich brauche wieder mehr Fokus! Aber das ist nicht Ihr Thema. Also, wenn ich mit Essen fertig bin, dann bekommen Sie von mir einen Artikel darüber, welche Ursachen Ihnen das Recruiting in der Praxis nun tatsächlich so schwer machen. Und wie Sie die beseitigen können. Bis dahin wünsche ich Ihnen einen guten Appetit – in der Stadt und beim Recruiting!

In diesem Sinne,

Ihr Henrik Zaborowski