Henrik ZaborowskiRecruiting wird ja gerne, zumindest ist das immer wieder mein Eindruck, als Wissenschaft verkauft. Und ist gleichzeitig wahrscheinlich die am unwissenschaftlichsten gelebte Disziplin in der Wirtschaftswelt. Zumindest wenn wir uns anschauen, was die Wissenschaft über gutes Recruiting sagt – und was davon in der Praxis angewandt wird. Nämlich fast nichts. Aber wissen Sie was? Das macht eigentlich nichts. Meines Erachtens ist Recruiting nämlich keine Wissenschaft. Sondern das Leben. Aber so wie das Leben, sollten Sie auch Recruiting ernst nehmen. Und sich eine ganz wichtige Frage stellen: Auf welche Art möchten Sie leben (und sterben)?

Recruiting – oder: Welches Leben möchten Sie leben?

Wenn Sie auch die Erfahrung machen, dass „post & pray“ nicht mehr reicht, um Stellen zu besetzen und wenn Sie diesen und auch andere blogs lesen (Christoph Athanas hat übrigens gerade eine tolle Aufstellung über „20 empfehlenswerte HR Blogs“ veröffentlicht), dann kennen Sie mögliche Alternativen (abgesehen von dem Einsatz von Personalberatern).

Sie können Ihren mindset ändern und mehr Ressourcen bereitstellen, Sie können mit Ihrer gesamten HR Abteilung agile werden oder auch erstmal „nur“ Recruiting in die agile Welt transformieren, Sie können stärker auf den Cultural Fit der Bewerber achten und Ihr eigenes und die Netzwerke Ihrer Mitarbeiter stärker nutzen, Sie können Ihre Candidate Experience verbessern und Active Soucing betreiben. Sie können Periscope im Recruiting einsetzen, genauso wie Snapchat (oder es auch aus guten Gründen sein lassen), Whatsapp in der Bewerberkommunikation und  Instagram für das Personalmarketing. Oder Sie hauen richtig einen raus und erzählen Heldengeschichten statt langweilige Stellenanzeigen zu posten.

Fakt ist: Sie können eine ganze Menge machen. Und die Erfolge dieser Bemühungen sind toll. Sie motivieren. Sie versüßen den tristen Personaleralltag voller Routinen und administrativen Prozessen. Sie liefern Stoff für tolle Artikel in blogs oder sogar Fachzeitschriften und einige Aktionen sind auch für das Gewinnen ruhmreicher HR Awards gut (oder extra dafür gemacht …?) Und ja, diese Aktionen bringen konkrete Einstellungen, wie ich auch immer mal wieder berichte. Oder wie Vanessa Wrede von hmmh, der Agentur, die Persicope im Recruiting eingesetzt hat, hier ganz frisch und mit Zahlen garniert berichtet. Sie können aber natürlich auch einfach weiter Stellenanzeigen schalten, Bewerber sortieren und mit Personalvermittlern zusammenarbeiten. Das geht auch. Es ist Ihre Entscheidung! Welches (Recruiter)Leben möchten Sie leben?

Recruiting – oder: Welchen Tod möchten Sie sterben?

Ich will Ihnen aber auch nicht verhehlen, dass auch bei mir immer mal wieder die Frage aufkommt: Lohnt sich das alles eigentlich wirklich? Und in einem der nächsten Blogartikel werde ich Ihnen mal berichten, was auch alles nicht gut läuft und wie frustrierend das sein kann. Die Frage nach dem „Sinn und Zweck und den nackten Erfolgen“ dieser ganzen Maßnahmen ist absolut berechtigt. Und wenn ich mit Personalern und Fachbereichen darüber spreche, dann höre ich immer wieder genau dieses eine Credo: „Naja, das ist ja schon ganz schön viel Aufwand“ – und damit ist das Thema abgehakt. Und ich kann das gut verstehen! Wenn Sie nicht der Employer Branding Beauftragte oder die Personalmarketing Spezialistin sind, die im Zweifel für viele Klicks, bunte Bilder, schöne Stories und ein gutes Gefühl bezahlt wird (ist jetzt etwas gemein, ich weiß), sondern wenn Sie Recruiter sind, der/die am Ende des Tages für definitive Stellenbesetzungen bezahlt wird, dann ist diese kritische Frage erlaubt! Sie sollen ja nicht in erster Linie Spaß haben, sondern Stellen besetzen. Und da ist es eben wie beim Elfmeterschießen! Man kann nicht glänzen, aber richtig versemmeln.

Aber mir ist beim Nachdenken über diese Aussage vor ein paar Tagen klar geworden:

Irgendeinen Tod müssen Sie im Recruiting sterben!

Die Frage ist nur, welchen?

Wissen Sie, wenn Sie so unterwegs sind wie ich, dann sterben Sie fast täglich unschöne, kleine Tode. Sie lehnen sich aus dem Fenster, Sie erkämpfen sich Budget und den Freiraum, mal „was anderes als post & pray zu machen“ und leben mit dem Druck, „jetzt aber auch Erfolge zeigen zu müssen“. Sie sourcen stundenlang, Sie investieren sich in Bewerber, in die Prozesse, in die Fachbereiche. Das ist erstens nicht immer lustig. Und zweitens geht das eben auch mal in die Hose. Und dann stehen Sie da und müssen sich erklären. Von den persönlichen kleinen Enttäuschungen ganz zu schweigen, dass der Bewerber, in den Sie soviel Zeit mit Sourcing, Rückrufen am Abend und „bei Laune halten, weil der Prozess so lang ist“ investiert haben, am Ende den Vertrag doch nicht annimmt. Und natürlich passiert Ihnen all das nicht, wenn Sie weitermachen wie bisher. Denn dann lehnen Sie sich nicht aus dem Fenster und kriegen auch keinen auf die Mütze, wenn es nicht funktioniert. Sie kriegen zwar auch einen auf die Mütze, weil die Stelle nicht besetzt ist. Aber wenigstens haben Sie vorher nicht viel investiert. Und seien wir ehrlich: Daran haben sich doch alle Beteiligten gewöhnt, oder? Das tut doch keinem Personaler mehr wirklich weh, das wird ausgesessen. Eben auch aus dem ganz pragmatischen Verständnis, dass man sich keine Bewerber backen kann. Aber wenn Sie so richtig Aufwand betreiben – und dann immer noch einen auf die Mütze bekommen, weil die Stelle nicht besetzt ist – das tut weh. Was ist also die Konsequenz? Weitermachen wie bisher? Weil sich der Aufwand doch nicht lohnt?

Ich denke nicht, dass das die richtige Schlussfolgerung ist. Es gibt da noch einen anderen Blick drauf. Denn auch wenn Sie weitermachen wie bisher, sterben Sie ein paar kleine Tode. Die tun nur nicht so weh! Weil Sie die kaum mitbekommen. Sie verpassen potentielle Bewerber, die nicht auf Ihrer Lieblingsjobbörse suchen, aber perfekt zu Ihrem Job passen würden. Sie bekommen die unzähligen, abgebrochenen Bewerbungen nicht mit (weil der Bewerbungsprozess schlecht ist oder die Medienbrüche zu zahlreich, Sie das aber nicht tracken). Sie sterben den Tod des „nicht bekannter bei der Zielgruppe werden“, weil Sie eben kein Inbound Marketing betreiben und keine Artikel schreiben und kein Sourcing im eigenen Namen betreiben. Sie sterben den Tod eines Nicht-Aufbaus eines Talentpools, weil Sie den Ident und die Ansprache potentieller Kandidaten Ihrem Personalberater überlassen, anstatt das selber zu machen.

Egal was Sie machen oder auch lassen: Im Recruiting verlieren Sie immer etwas!

Sie sterben immer ein paar kleine Tode! Das ist so. Seien Sie darum vorsichtig, wenn Ihnen irgendjemand „garantiert“, mit diesen oder jenen Maßnahmen 100% erfolgreich zu sein. Das kann gar nicht gehen. Das sage ich aus eigener (leidvoller) Erfahrung.

Sie müssen sich fragen, welche Recruitingtode Sie sterben möchten. Die, die weniger weh tun, weil sie nicht direkt bemerkbar sind? Oder die, die Ihnen ins Gesicht springen und Ihnen „Niederlage“ entgegenschreien? Welchen Tod Sie wählen, hat auch Einfluss auf Ihr Leben als Recruiter. Ich habe mich entschieden, wie ich leben und „sterben“ will. Und Sie? Am Ende hat alles einen Preis. Wie im echten Leben. Und darum möchte ich Sie bei dieser Gelegenheit ganz privat darauf hinweisen: Am Sterbebett hat noch niemand gesagt, er hätte gerne mehr gearbeitet! 

Falls Sie jetzt gerade etwas Zeit zum Sinnieren brauchen, gönnen Sie sich doch knappe fünf Minuten mit Simon Garfunkel und seinem Song „50 ways to leave your lover“. 🙂 Das trifft zwar nicht ganz den Kern dieses Artikels, aber ist ein cooler Song – und zeigt: Es gibt viele Wege, etwas zu tun oder zu lassen.

Wie lesen/hören dann mal wieder voneinander, oder? Hoffentlich sehr lebendig 🙂

Herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski