Recruitingtrends gibt es ja immer. Wer sich den Recruitingmarkt anschaut, erlebt aber aktuell ein gewisses „Wettrüsten“ der am Recruiting beteiligten Key Player: Recruiter/Sourcer, Personalvermittler, Trainings-/Seminaranbieter und natürlich Anbieter von Recruitingtools und -kanälen. Alle setzen auf Künstliche Intelligenz, bieten „Innovationen“ und investieren massiv ins eigene Marketing auf allen Kanälen. Eine ganz aktuelle Meldung aus dem Markt finde ich trotzdem durchaus spannend und möchte bei der Gelegenheit auch auf anderes hinweisen. Doch bei allem Marktgeschrei ist meine Erfahrung ist aus ganz aktueller Praxis: Viele Arbeitgeber, vor allem die Fachbereiche, haben den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Deswegen verzeihen Sie mir bitte den reißerischen Titel, aber es reimte sich halt so gut 😉 Manager gehen natürlich nicht über Leichen, aber viele ignorieren massiv den Wandel des Arbeitsmarktes und halten die Hürden für eine erfolgreiche Stellenbesetzung weiter hoch, während sie den schwierigen Arbeitsmarkt beklagen. Es zeigt sich, dass wir im Kern andere Lösungen finden müssen als die Technologie. Und dass HR hier nach wie vor nicht das Standing oder den Willen hat, sein eigenes Unternehmen entsprechend umzustellen.
Recruitingtrends: Technologie als Heilsbringer
Ich habe schon den Überblick über die ganzen Artikel über die Wunderwaffe Künstliche Intelligenz (KI oder auch AI abgekürzt) verloren. Wie munter da behauptet wird, dass AI in Zukunft das perfekte Matching ermöglicht … ich staune! Ich glaube da nicht dran! Warum? Ein Matching kann nur so gut sein, wie der von einem Menschen entworfene Algorithmus und, noch entscheidender, die Datenbasis. Und die ist aktuell aus verschiedenen Gründen zur Feststellung der Eignung für einen bestimmten Job oder Arbeitgeber ziemlich unbrauchbar. Da ich aber weder Informatiker noch „brain“ bin, halte ich mich da immer ein wenig zurück. Es gibt klügere Köpfe als mich. Der von mir hoch geschätzte Marcus Reif sieht den perfect match dank Google for Jobs recht optimistisch. Marc Poppenborg ist da offensichtlich wie ich anderer Meinung. Wir werden es sehen.
Gleicher Denkfehler wie beim Paarmatching: Beziehungspassung entsteht erst ab Kommunikationsbeginn ist also nicht im Vorfeld errechenbar
— Mark Poppenborg (@MarkPoppenborg) 7. Juli 2017
Recruitingtrends: XING kauft Prescreen
Tatsache ist: Technologie wird unser Recruiting in den nächsten Jahren prägen. Und das bringt mich zu der hochaktuellen Neuigkeit, die mir tatsächlich ein paar Zeilen wert ist: XING kauft den Bewerbermanagementsoftware Anbieter Prescreen. Und geht damit nach dem Kauf von dem Mitarbeiterempfehlungsprogramm Equipia (BuddyBroker) 2016 einen weiteren Schritt in Richtung „ganzheitlicher Recruitingplattformanbieter“. Und nutzt damit seine marktführende Stellung als „Sourcing Quelle“ clever für den weiteren Ausbau seines Geschäftsmodells. Viel wichtiger ist aber m.E. der Gedanke dahinter, seinen Kunden EINE Plattform/Lösung für den gesamten Recruitingprozess anzubieten. Prescreen ist, bei allem Respekt, als ATS Anbieter eher ein kleines Licht. Hier werden keinen Kunden, sondern hier wird von XING ein fertiges Produkt und seine Technologie eingekauft. Und das macht absolut Sinn. Denn das größte Problem, das ich bei allen HR Startups wahrnehme, ist ihre „Single Lösung“. Immer muss ich mich als Recruiter in ein neues System reindenken, mich überall einzeln anmelden, womöglich läuft auch die Bewerberkommunikation über das jeweilige System und immer taucht die Frage der Schnittstellen zum ATS oder BMS auf etc. Viele HR’ler haben keine Lust oder Zeit, mehrere Einzellösungen nebeneinander zu nutzen. Das bremst die Begeisterung für die oftmals eigentlich guten Lösungen der Startups. XING wird Prescreen technisch so integrieren (zumindest es versuchen), dass es als eine Plattform daherkommt. Wer als (insbesondere kleines und mittelständisches) Unternehmen also viel sourced, wird sich bei der Neuanschaffung eines Bewerbermanagementsystems in Zukunft gut überlegen, ob nicht die XING eigene Lösung Prescreen die beste Variante für ihn ist.
Ist schon interessant, sich diese Entwicklungen anzuschauen. Wenn ich überlege, dass ich die Jungs von Prescreen 2014 in Wien das erste Mal live erlebt habe. Damals noch ebenfalls vor allem mit einem besseren Matching als Ansatz. Den zu der Zeit faktisch aber noch niemanden am HR Markt interessiert hat. Und wenn mich nicht alles täuscht, hat sich Prescreen dann auch schnell auf das deutlich massentauglichere Geschäft des BMS konzentriert. An dieser Stelle auf jeden Fall „Glückwunsch“ an beide Seiten. Guter Deal!
Recruitingtrends: Personalberater „liefern nicht“
Die Personalberaterbranche boomt. Volle Auftragsbücher, weiteres Wachstum bei allen Beteiligten, sehr positive Stimmung. Dem Gegenüber höre ich von immer mehr Kunden, dass auch „die Personalberater keine gute Qualität und Menge mehr liefern“. Klar, wir fischen ja alle im gleichen Teich, Bewerber backen kann niemand. Was die Konsequenz daraus ist, weiß ich noch nicht. Ein Blick in eine Studie vom „Bewertungsportal für Personalvermittler“ Bestcruiter, begleitet von der Hochschule Pforzheim, zeigt zumindest ein wenig die Stimmung, die zwischen Kunden und Personalberatern herrscht. Grundsätzlich ist die Zufriedenheit über die Zusammenarbeit mit Personalberatern ganz ok, wie ich finde.
Die Erkenntnisse in der Zusammenfassung:
- Fast 30% der Studienteilnehmer haben angegeben, dass Sie zukünftig offene Stellen weniger mit Hilfe von Personalberatern besetzen werden.
- Nur 9% der Befragten haben angegeben, dass Sie mit ihrem Personalberater sehr zufrieden sind
- Bei der Auswahl eines Personalberaters sind die Empfehlungen für fast 65% der Befragten wichtig
- 60% der Personalverantwortlichen beurteilen den Markt für Personalberater als intransparent oder sehr intransparent
Interessant ist die Liste der „Negativerfahrungen“ mit Personalberatern.
Das entspricht ziemlich dem, was ich von meinen Kunden und meinem Netzwerk höre. Auch was die Akquise angeht! Da scheinen einige doch extrem aggressiv unterwegs zu sein. Klar, es kommen ja immer wieder neue Player in den Markt. Und doch werde ich immer wieder gefragt, ob ich nicht „einen guten Personalberater für die Zielgruppe X kenne“. Wenn das der Fall ist, gebe ich gerne einen Tipp.Und ansonsten verweise ich auf bestcruiter 😉 Finde den Ansatz nach wie vor sehr charmant, wie ich schon mal geschrieben habe. Übrigens auch eine Erkenntnis der Studie: Am liebsten entscheiden sich Personaler für einen Personalvermittler aufgrund persönlicher Empfehlungen aus ihrem Netzwerk.
Die Frage, die ich hier allerdings auch zum Thema „Kandidatenqualität“ stellen muss ist: Wie realistisch sind denn die Erwartungen der Kunden? Und was tun sie, um die Optionen zu vergrößern? Und genau hier ist wieder der Punkt zu sagen: Manager gehen über Leichen. Solange wir nicht unser Mindset ändern und uns den geänderten Marktbedingungen anpassen, werden weder Personalberater noch Technologie unsere Recruitingprobleme lösen. Wer mehr dazu wissen will, in meinem letzten Artikel „Recruiting im selbstgemachten Fachkräftemangel“ habe ich einiges dazu geschrieben. Die komplette Studie gibt es übrigens nicht im Netz zu finden. Bei Interesse einfach mal bei Kristin Wolter von bestcruiter anfragen.
Recruitingtrends Sourcing & Analytics: gibt es bei den Social Recruiting Days
Wohin man blickt: Überall schießen die Recruiting / Sourcing / Personalmarketing Seminare, Webinare und Events aus dem Boden. Keine Woche, wo man nicht irgendwo dabei sein könnte. Aber auch bei den Events ist eine Themenverschiebung zu bemerken. Während es in der Vergangenheit viel um „blink blink und bunte Bilder“, also Personalmarketing und Employer Branding (:-)) ging, erleben wir nun einen Schwenk ins „harte Recruiting“: Dem Sourcing. Im Mai hatten wir ja den grandiosen Sourcing Summit in Mainz (hier noch ein paar Teilnehmerstimmen), der erste wirklich auf Sourcing fokussierte HR Event in Deutschland. Und am 12. & 13. September 2017 finden wieder die Social Recruiting Days in Berlin statt. Und auch dieser Event schwenkt deutlich spürbar hin zum Sourcing. Mit Johnny Campell und Balazs Paroczay sind zwei internationale Sourcinggrößen dabei, die schon beim Sourcing Summit mit Wissen und Auftritt begeistert haben. Wer die beide also endlich mal live erleben möchte (was ich nur empfehlen kann), sollte die Gelegenheit nutzen. Aber auch die Frage, wie kann ich Sourcing im Unternehmen starten und auch etablieren, wird bei den Vorträgen behandelt. Der andere große Trend, Recruiting Analytics, wird ebenfalls aufgegriffen und von Praktikern serviert. Es sollte also für jeden, der im Recruiting vorne mit dabei sein will, etwas dabei sein. Abgesehen war es letztes Jahr einfach super nett … und wird es dieses Jahr bestimmt wieder sein 😉 Also, Termin blocken und anmelden.
So, das war ein kleines Update. Am Ende des Tages muss jede Erkenntnis ja eh nochmal auf die praktische Ebene runtergebrochen werden. Und hier wartet ehrlich gesagt die größte Schwierigkeit. Ich kann tolle Organigramme, Prozessschritte und Verhaltensregeln festlegen – „wichtig ist auf dem Platz“. Sprich: Im konkreten Kontakt mit den Bewerbern bzw. ihren Bewerbungen. Und da wird einfach noch zu viel versemmelt, weil es halt überall menschelt. Aber auch hier merke ich ein Umdenken. Ich bekomme immer mehr Anfragen für die Durchführung von Workshops oder Trainings rund um Bewerbergespräche, Personalauswahl oder auch „schlankes Personalmarketing“. Und wenn ich dann sage: „Ich habe keine fertigen Trainingsunterlagen oder -konzepte, ich kann das nur mit den Mitarbeitern direkt erarbeiten“, dann stoße ich auf positive Resonanz. Mein Ziel ist es, die Recruiter und Hiring Manager zum Nachdenken anzuregen. Die können ja alle denken. Wir haben es im Recruitingkontext einfach nur verlernt. Es wird Zeit, das wieder zu ändern 😉
Also, in dem Sinne – es bleibt spannend.
Herzlichen Gruß,
Ihr Henrik Zaborowski