Active Sourcing, also die aktive Suche und Ansprache potentieller Mitarbeiter vor allem in den Business Netzwerken XING und Linkedin, ist heute kaum noch aus dem Recruitingalltag wegzudenken. In der Regel erfolgt Active Sourcing durch die Recruiter oder speziell dafür eingestellte und/oder ausgebildete Sourcer. In engen Märkten sollte aber aus meiner Sicht Active Sourcing durch Führungskräfte bzw. Fachbereiche erfolgen. Warum und wie das starten kann, zeigt jetzt ein Praxisbeispiel vom Generalagenturenvertrieb (VDGV) der SV SparkassenVersicherung.

Active Sourcing – viel Quantität, wenig Qualität

Seitdem immer mehr Unternehmen versuchen, selber über eigene Active Sourcing Aktivitäten ihre Stellen zu besetzen, erleben zumindest solch gesuchten Zielgruppen wie z. B. Vertriebs- oder IT-Spezialisten eine wahre Flut von Anfragen. Leider offensichtlich nicht immer mit passenden Jobangeboten. Und auch nicht unbedingt in hoher Qualität der Kommunikation, wie ich immer wieder aus meinem Netzwerk zurück zugespielt bekomme.

Viele „Kandidaten“ (die keine Kandidaten, sondern erst einmal ganz „normale Menschen in einem Job sind“) sind inzwischen von unpassenden und unpersönlichen Anfragen genervt. Und reagieren im Zweifel gar nicht mehr. Die Antwort darauf kann nicht sein, einfach die Taktzahl zu erhöhen. Nach dem Motto „wenn ich einfach 100 mehr anschreibe, erhöht sich rein statistisch schon die Chance auf einen Treffer“. Nein, die Antwort kann nur sein, die Qualität und Wertigkeit der Anfragen zu erhöhen. Aber wie?

Dafür gibt es aus meiner Sicht drei Stellschrauben, an denen gedreht werden kann & muss.

  • Die Ansprache muss sehr individuell und persönlich sein
  • „Kandidaten“ dürfen nur auf wirklich passende Jobs angesprochen werden
  • Der „Sourcer“ sollte vom „Kandidaten“ als Experte und kompetenter Ansprechpartner für Rückfragen wahrgenommen werden

 

Active Sourcing – Wertigkeit ist Handwerk

Zu Punkt 1) muss ich sagen: Das ist alles keine Zauberei, sondern Handwerk. Sie müssen ein paar Aspekte beachten, dann lässt sich mit nur wenig Aufwand eine sehr gute Mischung aus individuellen und standardisieren Textelementen entwickeln. Aufgrund zahlreicher Nachfrage habe ich vor einiger Zeit dafür einen Onlinekurs zur „Erfolgreichen Ansprache im Active Sourcing“ entwickelt, der vor allem für Anfänger und Fortgeschrittene geeignet ist, um Sorgen und Hemmungen zu nehmen und die Grundprinzipien der Ansprache zu verstehen.

Punkt 2) zu erfüllen, wird hingegen schon etwas anspruchsvoller. Denn wenn der Sourcer es hier verbockt, nützt das beste Anschreiben nichts. Niemand hat Interesse an einem unpassenden Jobangebot. Gerade bei Spezialistenpositionen passiert das aber offensichtlich häufiger, denn ein Recruiter/Sourcer, der sich in dem jeweiligen Thema zu wenig auskennt und die Stellenanforderung nicht wirklich versteht, kann gar nicht einschätzen, wer auf den Job wirklich passt. Darum, wie ich auf dem Sourcing Summit erklärt habe: „Ich muss den Job verstehen, sonst kann ich nicht sourcen“.

 

Und wer kann das am besten? Richtig, die potentiellen Fachkollegen bzw. die Führungsverantwortlichen. Damit nähern wir uns der von mir schon vor Jahren prognostizierten Realität, dass HR in engen Bewerbermärkten immer weniger zu suchen hat und Recruiting über das Netzwerken und Active Sourcing durch Führungskräfte erfolgen muss. Denn nur die Fachexperten können ab einem gewissen Niveau noch einschätzen, wer für einen Job passen könnte bzw. wie dicht jemand am Idealprofil ist. Und die Führungskräfte kennen den Markt auch viel besser als HR (sollten sie zumindest). Gerade im Vertrieb oder in der Beratung. „Man“ kennt sich in der Branche. Gute Führungskräfte, die im Markt vernetzt sind, wissen, wo sie mit ihren Leistungen besser sind als manche Wettbewerber – und wo schlechter. Und sprechen deswegen einen Mitarbeiter beim Wettbewerb A mit einem anderen Ansatz an als einen Mitarbeiter bei Wettbewerber B. Dieses Wissen ist ein weiteres Pfund, das es zu nutzen gilt. Also, liebe Führungskräfte, ran an den Speck. Ihr seid gefordert! Sucht Euch Eure MitarbeiterInnen selber!

 

Active Sourcing – den direkten Kontakt auf Augenhöhe finden

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, warum es viel Sinn macht, die Fachkollegen bzw. die Führungskräfte die Ansprache zu überlassen. Womit wir bei Punkt 3) sind. Angenommen, der Job passt und die Ansprache ist professionell. Der „Kandidat“ hat Interesse und möchte mehr wissen. Von wem bekommt er/sie wohl am ehesten die für ihn interessanten Informationen? Richtig, von den Fachkollegen bzw. seiner potentiellen Führungskraft! Und wie wertschätzend ist es, wenn mein potentieller Chef mir zeigt, wie wichtig ihm seine Mitarbeiter sind, dass er/sie selber in die Ansprache geht? Und wie cool ist es, wenn ich ohne eine Bewerbung abzuschicken, schon einfach mal mit dem Chef telefonieren kann! Sehr cool und sehr wertschätzend. Denn oft ist es doch so, dass den „Kandidaten“ vor allem inhaltliche, fachliche Fragen zum Job interessieren, die HR in der Regel nicht beantworten kann.

Was ist also das Fazit? Die besten Sourcingergebnisse müssten aus meiner Sicht die Fachkollegen, nicht HR, erzielen. Zumindest nach ein wenig Schulung und Unterstützung durch erfahrene Sourcer. Das Problem ist hier nur meisten, dass die Fachbereiche keine Zeit für „sowas“ haben und das gerne an HR delegieren. Bis es nicht mehr funktioniert. Also bis jetzt 😉

Darum hatte ich mich auch sehr über die Anfrage der Vertriebsdirektion Generalagenturenvertrieb der SV SparkassenVersicherung gefreut, die ihren Vertriebsführungskräften eine Active Sourcing Schulung gönnen. Hier ging es um das Ziel, die Führungskräfte zu befähigen, selber ihre Vertriebsmitarbeiter in den jeweiligen Regionen zu suchen und anzusprechen. Bei der Frage nach der Art der Schulung / des Trainings gab es natürlich ein paar Herausforderungen zu lösen.

  • Gegen ein Präsenzseminar sprach die Herausforderung, 15 Führungskräfte, deren Vorgesetzte und HR verbindlich für einen Tag an einen Ort zusammen zu bringen. In der Regel sagen dann doch kurzfristig einige ab und der Reiseaufwand ist immens.
  • Da Sourcing keine Kernbeschäftigung der Führungskräfte werden wird (lassen Sie uns realistisch bleiben), wird das gehörte, gelernte Wissen aus dem Workshop bei manchen Führungskräften mangels regelmäßiger Anwendung früher oder später wieder verblassen. Die Möglichkeit, das Wissen jederzeit individuell und von überall wieder aufzufrischen, wäre also hilfreich.
  • Da die Führungskräfte viel (im Auto) unterwegs, wäre die Bereitstellung des Wissens als reine Audio Datei ein nettes Gimmick.
  • Anders als reine Sourcer, die in der Regel auf (teure) Profitools wie den XING Talent Manager oder den Linkedin Recruiter zurückgreifen, werden die Führungskräfte nur die eingeschränkten Möglichkeiten der Premium Mitgliedschaft bei XING nutzen können. Dies galt es in der Schulung zu berücksichtigen.

 

Für diese ganzen Überlegungen / Vorgaben lag die Nutzung eines „24/7 von überall verfügbaren“ Onlinekurses auf der Hand. Ich ergänzte meinen bestehenden Active Sourcing Onlinekurs zur „Erfolgreichen Ansprache“ um weitere Einheiten rund um die Suche mit dem XING Premium Account, die Profileinstellungen und auch die Möglichkeit, sein eigenes XING Profil zu bewerben und goss alle Einheiten, für die das sinnvoll war, noch in reine MP3 Versionen.

 

Active Sourcing – ungenutzte Potenziale erschließen

Wie ging es in die Umsetzung?

Während einer der regelmäßigen Klausurtagungen der Vertriebsführungskräfte wurde die Idee des Active Sourcings und der Unterstützung durch den Onlinekurs von mir und Vertriebsreferentin Recruiting VDGV Tanja Städtler vorgestellt. Die Vorteile lagen auf der Hand und überzeugten. Die Entscheidung für diese Art von Schulung wurde schnell getroffen und umgesetzt. Alle Führungskräfte bekamen einen individuellen Zugang zum Onlinekurs und die MP3 Dateien zur Verfügung gestellt. Durch den effizient gestalteten Wissenstransfer konnte eine weitere Gruppe des Führungsaußendienstes mit einbezogen werden, so daß wir ca. 30 Führungskräfte mit den Modulen ausstatten konnten. Nun konnten sie loslegen. Und umso schöner: Schon nach kurzer Zeit konnte die erste Einstellung vermeldet werden. Sicherlich war da auch ein wenig Glück im Spiel. Aber, ist es das nicht immer 😉

Ich bin sehr gespannt, wie sich das Thema Active Sourcing bei der SV SparkassenVersicherung weiter entwickeln wird. Einige unterstützende, interne Maßnahmen wurden schon in die Wege geleitet, um Learnings festzuhalten und den Erfahrungsaustausch zu fördern. Wichtig ist, dass es überhaupt angegangen wurde. Und wenn sich dann erste, schnelle Erfolge zeigen, ist das natürlich optimal. Diesen Schwung gilt es mitzunehmen. Denn das volle Potenzial entfaltet Active Sourcing eh erst über die Zeit. Deswegen gilt es, anzufangen. Denn wie überall gilt auch im Sourcing: Über das Tun ins Machen kommen ;-). Das kennen Sie doch sicher auch nicht anders, oder?

Herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski