Active Sourcing ist in den aktuellen Corona Zeit eine Herausforderung. Aus vielen Gründen. Aber auf einen möchte ich in diesem Artikel besonders hinweisen: In meiner Wahrnehmung herrscht gerade in unserer Business Social Media Welt ein absoluter Kommunikationswahnsinn (um es nicht Krieg zu nennen). Und ich befürchte, dass wir uns damit ganz ganz viel kaputt machen. Bin gespannt, wie Sie das sehen.

Kommunikation auf allen Kanälen – ohne Pause

Dies ist der erste Blogartikel von mir seit Februar 2020. Ich mache inzwischen mehr Podcast, weil ein guter Blogartikel mindestens 3 Stunden Zeit braucht. Und die hatte ich in der Vergangenheit einfach nicht. Denn ich war viel unterwegs, hatte viel zu tun und brauche für sinnvolle Gedanken auch mal Ruhe. Die hab ich jetzt, weil „dank Corona“ alle Vortrags- & Workshop Termine weggefallen sind. Aber habe ich deswegen jetzt auch automatisch mehr Ruhe? Nein, zumindest nicht, wenn ich mich von dem Kommunikationswahnsinn im Social Media Wald mitreißen lassen. Es ist ja wirklich irre, was über die letzten Wochen alles aus dem Boden gestampft wurde. Sinnvolles und weniger sinnvolles. Da gibt es so tolle Aktionen wie #keinHRAlleinZuhaus von Henner Knabenreich oder den Facts & Figures Data Driven Recruitingtalk Donnerstags von Wolfgang Brickwedde mit so tollen Gästen wie Dr. Annina Hering, Ute Neher, Gero Hesse oder Charlotte von Riess. Hier geht es um den Austausch von HR und RecruitingexpertInnen untereinander über die Themen, die sie aktuell bewegen.

Dann gibt es zusätzlich gefühlt tausende von Webinaren, wie ich richtig im Home Office arbeite, wie ich remote führen kann (muss), wie ich Collaboration Tools richtig einsetze, wie ich mir ein Online Business jetzt erfolgreich aufbaue, wie ich als Dienstleister auch in der Krise erfolgreich akquiriere und so weiter. Und dann bekomme ich persönlich (und wie ich lese, auch viele andere aus meinem Netzwerk) täglich Kontaktanfragen von Coaches und Dienstleistern, die mich fragen, ob ich mich gesund ernähren, mehr Sport treiben oder nicht in den nächsten 6 Monaten meinen Umsatz auf eine Millionen Euro anheben möchte. Und dann gibt es ja noch die ganzen internen Videocalls und Online Teammeetings, an denen uns die Teilnehmer ja vor allem auf Linkedin gerne per screenshot und „Daumen hoch“ teilhaben lassen.

Und ich frage mich: Sind denn jetzt alle wahnsinnig geworden??? Arbeitet hier noch irgendjemand?

Ungefragte Kommunikation hat ihre Tücken

Ein großes Phänomen, das ich vor allem auf Linkedin erlebe, sind wirklich die zahllosen, nachrichtenlosen Kontaktanfragen. Vom R&D Engineer aus Rumänien oder dem SAP Specialist aus Indien kann ich es noch verstehen. Die hätten gerne nen Job in Deutschland. Aber dann ist da eben auch der Life Coach oder der Evangelist X, Enthusiast Y oder Weltenbeweger Z aus Bückeburg. Und wenn ich diese Anfrage bestätige, dann bekomme ich oft wie magisch direkt eine Nachricht hinterhergeschickt. Mit aus meiner Sicht völlig irrsinnigem Inhalt. Da schickt mir einer seinen Lieblingsspruch und fragt mich nach meinem (ich hab keinen). Da schreibt mir einer sofort seine Beratungsleistungen und bietet mir ein kostenloses Gespräch an. Als hätte ich danach gefragt. Hab ich aber nicht. Da möchte einer einfach mal „Hallo“ sagen und quatschen. Eine möchte sich mit mir über meine Leistungen austauschen und fragt mich, was ich denn so machen würde (ernsthaft jetzt?). Also, ich weiß nicht, was diese Menschen reitet. Vermutlich haben sie alle ein Onlinecoaching absolviert, wie ich online Kunden gewinne …

Das Problem mit dieser Art von Kommunikation ist: Der Empfänger hat nicht danach gefragt!! Und sehr vermutlich gerade keine Lust drauf oder keine Zeit dafür. Ich erlebe es ja auch immer wieder selber als Blogger und Podcaster: Ich bekomme regelmässig emails von Agenturen oder Dienstleistern, die mich fragen, ob ich über ihr Produkt, ihre Leistung oder ihren Event berichten würde. Und da sind teilweise echt gute Dinge bei (oft auch nicht). Aber: Wenn die mail in einer Zeit kommt, in der ich gerade den Kopf voll habe, dann reagiere ich nicht sofort. Und vergesse die mail nach zwei Tagen schon wieder. Und bei der Follow Up mail reagiere ich im Zweifel auch nicht, weil ich immer noch keinen Kopf dafür habe. Klar, das ist doof und unfair und vielleicht entgeht mir da auch was. Aber das ist die Realität. Da muss mich der Titel schon absolut anspringen und ich ein persönliches Interesse am Thema daran haben. Und es muss gut geschrieben sein! Dann reagiere ich! Außer, ich habe wirklich wirklich wirklich (gefühlt) gerade keine Zeit. Dann bleibt auch ein tolles Thema leider liegen.

Active Sourcing ist ungefragte Kommunikation

Was hat das jetzt mit Active Sourcing zu tun? Ganz einfach: Active Sourcing ist ungefragte Kommunikation. Außer bei denen, die tatsächlich gerade aktiv auf Jobsuche sind (also, ich meine jetzt wirklich und nicht nur laut ihres XING Status) und vielleicht sogar eine Telefonnummer angegeben haben. Die freuen sich erstmal über meine Kontaktaufnahme (wenn der Job passt und ich es gut mache … immer diese Einschränkungen, sorry). Aber das sind faktisch, zumindest im Moment noch, die wenigsten! Die große Masse an Menschen da draussen, vor allem die gesuchten Spezialisten, die warten nicht sehnsüchtig auf mein Jobangebot!! Die sind nicht auf XING und Linkedin, weil sie einen Job suchen!

Jetzt gibt es ja SourcerInnen, die das genau so sehen wie ich und deswegen eine andere Strategie fahren. Die sprechen die Menschen nicht direkt für einen Job an, sondern suchen erstmal ganz einfach nur den Kontakt. Im Sinne eines Talent Pool Aufbaus. Sich vernetzen, ein wenig austauschen über dies und das, Vertrauen aufbauen und dann irgendwann mit nem Job um die Ecke kommen. Für die Kontaktaufnahme wird dann ein konkreter Aufhänger gesucht. z. B. gemeinsame Interessen, der ungewöhnliche Name des Betreffenden oder einfach der „Wunsch, mich mit interessanten Persönlichkeiten zu vernetzen“. Und wenn der Angeschriebene reagiert, wird darauf eingegangen. Wenn nicht, gibt es eine Woche drauf eine weitere ähnliche mail. Und dann evtl. etwas später noch eine. Man will ja kein „One Hit Wonder“ sein.

Das Problem ist allerdings auch hier: Es ist ungefragte Kommunikation. Und wenn ich solche Nachrichten bekomme, dann frage ich mich immer, „was willst du von mir?“. Und da ich wenig Zeit habe und keine Lust, meine Zeit mit Kommunikation zu verplempern, deren Grund mir nicht bekannt ist und nach der ich nicht verlangt habe, ignoriere ich diese Nachrichten komplett. 

Jetzt können Sie denken, „Zaborowski, sie sind aber ein harter Hund. Wie unhöflich. Das hätte ich nicht von ihnen gedacht!“. Aber erinnern Sie sich noch an die gute alte Zeit, in der Sie unaufgefordert Werbebriefe per Post bekommen haben? Na, was haben Sie mit denen gemacht? Beantwortet? Nee, die sind im Zweifel ungeöffnet im Papierkorb gelandet. Da hatte auch niemand ein schlechtes Gewissen. Und das habe ich auch heute nicht. Vielleicht verpasse ich was, kann sein. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass das eher nicht der Fall ist. Das meiste, was mich an Nachrichten erreicht, interessiert mich nicht.

Spam-Kommunikation führt zu Nicht-Kommunikation

Ich komme zum Ende meines Gedankengangs. Es ist heute so einfach, Nachrichten zu verschicken. Sogar automatisiert mit persönlicher Anrede und so. Es kostet fast nichts. Und genauso wird auch gehandelt. Und zwar nicht nur von den Coaches und anderen Vertriebshaudegen, die mir was verkaufen wollen. Sondern auch von den SourcerInnen und RecruiterInnen. Mir scheint, es gehen immer mehr Nachrichten raus – und wir wundern uns, warum nur noch so wenige gelesen werden! Ich glaube wirklich, wir müssen die spamartige Kommunikation runterfahren! Sondern schaden wir uns nur selbst. Glauben wir denn wirklich, dass die Masse der Menschen in den Business und Privat Netzwerken ernsthaft nur darauf wartet, mit einem weiteren unbekannten Menschen in die Kommunikation zu gehen? Um mal zu schauen, was sich ergibt? Gibt es solche Menschen? Ich gehöre definitiv nicht dazu. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich alleine mit dieser Ansicht bin. Mein Team und ich verschicken als SourcerInnen ausschließlich individualisierte Nachrichten an sorgfältig ausgewählte Personen für ganz konkrete Jobs. Dabei darf ich Ihnen verraten, dass wir weder zaubern, Blumensamen mitschicken oder eine magische Formel murmeln. Und natürlich arbeiten auch wir mit Copy & Paste Elementen. Weil, auch wir erfinden (und tippen) das Rad nicht immer wieder neu. Das wäre ja dämlich. Und doch bekommen wir immer wieder Antworten wie diese hier:

Und dann frage ich mich: Was schreiben denn bitte alle anderen SourcerInnen, dass ich mit minimalem Aufwand (Profil richtig lesen, kurz Gedanken machen und an den entscheidenen Punkte personalisieren) so einen positiven Effekt erzeuge?? Ganz ehrlich, ich will es gar nicht wissen! Wenn ich jetzt noch weiß, dass viele RecruiterInnen/SourcerInnen an der Anzahl angesprochener „Kandidaten“ gemessen werden … da kann nur Spam bei rumkommen. So viele J2EE Entwickler, Cloud Architekten oder IT Security Experten, die auch noch halbwegs wechselwillig sind, gibt es an einem Ort gar nicht, dass ich da 100 Ansprachen rausschicken kann. Dann kann es nur über die Gießkanne funktionieren = Spam.

Das interessante ist, dass dieser Gedanke schon ziemlich alt ist. Aber die Gefahr der Spam Kommunikation nimmt immer mehr zu und ich kann nur immer wieder warnen.

Aber, vielleicht liegt es ja auch nur an mir? Ich bin halt doch eher der introvertierte Typ (glauben Sie jetzt nicht, stimmt aber) und hab gerne mal meine Ruhe. Vielleicht freuen sie die meisten Menschen ja doch über diese massenhafte Kommunikation? Das ist jetzt meine Frage an Sie! Wie erleben und sehen Sie das, gerade auch aus der ganz persönlichen Perspektive. Würde mich wirklich interessieren.

Also, ich freue mich auf Ihre Kommentare und Rückmeldung. Und sage vielen Dank fürs Lesen. In diesen wilden Zeit ungezählter Kommunikation ;-).

Herzlichen Gruß,

Ihr Henrik Zaborowski